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Sodom und Gomorra

Liebe Leser,

wir alle haben sicherlich Orte, die wir redensartlich als Sodom und Gomorra bezeichnen würden. Für mich ist Facebook inzwischen zu solch einem Ort verkommen, weswegen ich nun lange Zeit mit mir gehadert habe, ob ich dort ernsthaft weiter verweilen oder diesem Schandfleck in den Weiten des Internets lieber des eigenen Seelenfriedens wegen den Rücken kehren sollte.

Natürlich bin ich bei meinen Überlegungen gedanklich zunächst ganz egoistische Punkte durchgegangen, welche Vor- und Nachteile besagter Ort für mich bringt. Um es kurz zu machen: Für mich persönlich bringt Facebook keinerlei Vorteile (mehr) mit sich – weder beruflich noch privat. Und zusätzlich lässt es sich ohne diese Plattform bedeutend entspannter und letztlich somit glücklicher leben. Warum sollte ich mir den dortigen Wahnsinn also weiterhin reinziehen? Ich empfinde das Miteinander auf Facebook als unehrlich und vergiftend bis ins Mark und daher als unerträglich. Es macht dabei auch keinen Unterschied, aus „welcher Ecke“ der einzelne kommt – die kollektive Unzufriedenheit entlädt sich, so wirkt es, in hässlichen aus Neid, Missgunst, Heuchelei und nicht selten gar aus Hinterlist entstellten Fratzen purer geistiger Armut. Mir ist bewusst, dass auch ich von manchen als solche wahrgenommen werden könnte.

Wir sind als Gesellschaft in meinen Augen derart erkrankt, dass wir gar nicht mehr sehen, wie gleich und verletzlich wir doch alle sind und dass sich jeder einzelne gleichermaßen nach Aufmerksamkeit, Bestätigung und Gemeinschaft sehnt. Warum dieser permanente Vergleich untereinander, anstatt jeden so anzunehmen und zu schätzen (!), wie er ist? Vor lauter Status- und Haltungs-Manie weiß zwar jeder, mit wem der andere gerne ins Bett geht, wie erfolgreich er im Beruf ist, ob er für das Klima hüpft und gegen Putin friert und ob der Impfpass vollständig ist; wer der einzelne aber wirklich ist, verliert sich in dem ganzen Geschrei verkümmerter Seelen vollends.

Soziale Medien? Bin ich zu asozial für

Ich habe Facebook lange Zeit sehr gerne genutzt. Vor allem den Austausch untereinander, ob mit Gleichgesinnten oder auch Andersdenkenden, empfand ich sowohl in beruflicher als auch privater Hinsicht stets bereichernd, selbst – oder gerade – Konversationen jenseits eines gepflegten Miteinanders. Im Leben lernt man ja nicht selten aus Abgründen am meisten und nachhaltig.

Vor dem Hintergrund ist diese Plattform sogar jetzt, wo ich sie verlasse, als äußerst fruchtbar zu betrachten. Allein aufgrund wichtiger Erkenntnisse, die man dort für sein und auch das Leben gewinnen kann. Sei es i.S. Oberflächlichkeit, Selbstdarstellertum, Verlogenheit oder einfach nur fast schon bemitleidenswerter „Auftritte“. Es liegt jedoch nicht an den anderen, sondern an mir. Entgegen so mancher Spekulation lasse ich mich auch nicht von Facebook selbst oder mir völlig fremden, herumpolternden Pseudo-Gestalten vertreiben. Ich bin ja nicht auf den Mund gefallen und nach wie vor die Alte. Lediglich mit einem Bedürfnis nach Ruhe und dem Wunsch nach echter, also richtiger Freiheit. Die liegt für mich mitunter darin, Entscheidungen auch mal bewusst egoistisch treffen zu können. Aber auch darin, mich nicht von Trends abhängig zu machen oder dem zu folgen, was man eben so macht. Nö. Das war mir schon immer zu doof, wenn damit die zwangsläufige Konsequenz einherging, sich in irgendeiner Art und Weise abhängig zu machen. Diese „Bedingung“ verstehe ich bis heute nicht und ich muss frei im Denken und bei mir selbst bleiben. Leider ist mir das auf Facebook immer weniger möglich – oder sagen wir so: Das ganze Gequatsche ist mir zuviel, zu verwirrend, zu abstoßend, zu unerträglich – zu einengend. Ich sitze da mit bald schmerzhaft zusammengezogenen Augenbrauen und selbst mein geliebter Zynismus bleibt mir inzwischen gar bei Katzenbildern im Halse stecken. Das mag was heißen.

Diejenigen, die meinen obercoolen Schutzschild zeitweise überblicken konnten, sollen natürlich an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Ich habe wirklich viele liebe, herzliche, ehrliche, lustige, interessante und tolle Menschen auf Facebook kennenlernen dürfen, darunter auch Freundschaften geschlossen, die ich nicht mehr missen möchte! Allein dieser wertvollen Weggefährten wegen habe ich mir diese Entscheidung auch keineswegs leicht gemacht. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass Egoismus in diesem Punkt nachrangig war. Zumal ich in einigen Fällen weiß, in anderen wiederum spüre, dass man sich aus dieser digitalen Gemeinschaft Kraft zieht und sie daher braucht. Wie asozial ist es da, sich vom Acker zu machen!? Tatsächlich aber mache ich mich ja gar nicht davon. Ich bin sogar noch mehr da als zuvor – ganz bei mir, frei von (für mich aktuell) überflüssigen Einflüssen. Direkter, persönlicher, ehrlicher.

Wie viele Facebook-Freunde bleiben denn wirklich übrig?

Links (oder mobil weiter untenstehend) kann man bei Bedarf mit mir in Kontakt treten, rechts (mobil ebenfalls weiter scrollen) bei Interesse meinen Neuigkeiten folgen. Von Aufhören war schließlich nie die Rede!

Ich bin mir sicher, dass, wenn man nur möchte, den Kontakt zueinander auch nicht verliert. Und wieviel Mehrwert hat er doch abseits von Profilbannern, überschminkten Gesichtern, sexuellen Vorlieben oder anderer unwichtiger Nebensächlichkeiten, die den Blick auf das Wesentliche, nämlich das Herz eines jeden, trüben.

Ich für meinen Teil schreite nun entschlossenen Schrittes gen Freiheit und freue mich weiterhin über jeden, mit dem ich auch privat bereits in Kontakt stehe, ebenso wie über jeden, der mich auch künftig gerne weiter begleiten mag sowie über jeden, der neu hinzukommt!

Ich wünsche jedem von Ihnen von Herzen viel Liebe, Freude, Gesundheit und Glück – ganz gleich, ob sich unsere Wege hier trennen oder nicht.

Herzlichst,

Ihre Dana

Ich will nicht mehr zurück!

Inzwischen wissen die meisten von uns, was es bedeutet, in dieser seltsamen und herausfordernden Zeit zu verreisen. Zwar verwirren uns vielleicht die sich ständig ändernden Regeln ein wenig, dem Grunde nach ist uns jedoch wenigstens bewusst, dass es längst nicht mehr damit getan ist, mal eben in den Flieger zu steigen. Aber nicht nur das neue Regelwerk wird stets ergänzt, auch unser Gepäck ist um den ein oder anderen Schutzartikel oder etwaige Formulare reicher geworden.

Unwirklichkeit trifft Wirklichkeit.

Unwirklich. Das ist doch der Gedanke, der sich uns manches Mal unweigerlich aufdrängt. Fühlen wir uns doch wie in einem schlechten Film der Kategorie Endzeit-Katastrophe, wie manche es gerne zynisch nennen. Oder wir haben uns an das Prozedere inzwischen gewöhnt, es zumindest aber als unumgänglich hingenommen. Bis wir in Kroatien ankommen…

Alle Vorschriften des neuen sozialen Miteinanders bestens verinnerlicht, erstarre ich vor Unsicherheit fast ein bisschen, als mein Gegenüber mir zur Begrüßung freudestrahlend und ganz selbstverständlich seine Hand entgegenstreckt. Unser Gastgeber, ein typisch lässiger Dalmatiner in den 30ern,   sportliche Shorts, weißes T-Shirt und lockige, dunkle Out-of-bed-Frise, weiß offensichtlich nichts über die neuen sozialen Gepflogenheiten in Deutschland. Kurzerhand beschließe ich, sie ihm an dieser Stelle noch nicht zu verraten, zu herzlich und wohltuend dieses stinknormale Händeschütteln. Auch der gemeinsame Gang durch unsere künftige Bleibe sowie das spätere Zusammensitzen in selbiger empfinde ich nicht als gesundheitsgefährdend. Eher hat das Nichtachten auf exakte Abstände zueinander, das Nichttragen von Schutzkleidung sowie der fehlende Dauerdurchzug aufgrund geöffneter Fenster eine auf Körper und Geist pflegende und beruhigende Wirkung auf mich. Wir essen frisch gepflückte Kirschen aus dem Gastgebergarten. Aus einer Schüssel mit unseren bloßen, nicht desinfizierten Händen. Ich fühle mich nicht bedroht, sondern gesegnet. Wir alle sind Menschen.

Die Schwächsten der Gesellschaft

Gleich am nächsten Morgen lernen wir die gesamte Gastgeberfamilie kennen. Da sind die hübsche, junge und aufgeschlossene Frau, die beiden kleinen, süßen Mädels und die Eltern des jungen Hausherrn. Also die eigentlichen Hausherren. Auf die es, wie wir gelernt haben, ganz besonders Rücksicht zu nehmen gilt. Sie brauchen unseren Schutz. Was aber, wenn sie den gar nicht wollen? So haben wir auch bei der Begrüßung mit dem Familienoberhaupt keine Chance, uns zurückzunehmen, so schnell werden gerade die Kleinsten, aber auch wir, sofort geherzt. Es wird in die Wangen gekniffen, über Köpfe gestreichelt, Witze vis-à-vis zugetuschelt, lauthals gelacht, in die Seite gekniffen, in den Arm genommen. Die Schwächsten der Gesellschaft scheinen hier die Stärksten zu sein. Die sich mehr um das Wohl der jüngeren Generationen als um ihr eigenes sorgen. So beruhigt man uns bei einem in Dalmatien üblichen Morgenschnaps auch sogleich mit den Worten „Trink das jeden Morgen und du bleibst gesund.“. Schaden kann es nicht, denken wir uns und trinken gemeinsam einen selbstgebrannten Orahovac auf die Gesundheit. Und das Leben.

Der tägliche Bedarf

Zwar sind wir in unserer neuen Unterkunft reichlich mit Obst, Gemüse, Schnaps, Wein und sogar jeder Menge selbst erlegtem und zubereitetem Getier sowie stets frischem Gebäck versorgt. Nichts desto trotz, benötigen wir ein paar Dinge für unseren täglichen Bedarf und machen uns zum örtlichen Shop auf. Eine Art Tante-Emma-Laden. Aufgrund der überschaubaren Größe treten wir vorsichtig ein, um uns einen Überblick über die dortigen Gegebenheiten neuer Einkaufsvorschriften zu machen. Alles ist so wie bei uns einst mal. Selbst in freie Gesichter blicken wir. Verunsichert ob der weltweiten Gesamtumstände halten wir dennoch unsere Kinder nachdrücklich dazu an, bitte nicht alles anzutatschen und rumzulaufen, sondern an unserer Seite zu bleiben. Abstände respektvoll einzuhalten erledigt sich innerhalb von Sekunden, da unsere Kinder – die Unterschiede offenkundig ebenfalls witternd – losrennen. Natürlich in unterschiedliche Richtungen, quer durch den Laden, rund um alle Regale. Bevor ich empört und wutschnaubend das Geschäft mit beiden Kindern unter dem Arm verlassen kann, rennt eine der Verkäuferinnen schon mit. Nicht etwa, um unsere unerzogene Brut einzufangen und zu ermahnen, nein. Sie macht mit. Ein junges Mädchen, um die 20, rennt freudestrahlend mit unseren Kindern in einem Supermarkt während dieser Epoche umher. Ich beneide sie. Für ihre Unbefangenheit, ihr warmes Herz und dass sie Spaß mit meinen Kindern hat. Einfach so. Nicht nach Regeln. Beim weiteren Zuschauen entspannt sich auch mein Mund zu einem liebevollen und herzhaften Lachen und mein Neid löst sich in Dankbarkeit auf. Dafür, dass mir die nette junge Dame zeigt, worauf es ankommt und dass unsere Kinder nicht ungezogen, sondern ebenfalls nach Freiheit und Leben am Lechzen sind.

Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass mir der Einkauf von Lebensmitteln, Hygieneartikeln oder auch einfach nur einem schnellen Eis oder eines gekühlten Getränks soviel geben kann. Die Menschen hier können keine Vorstellung darüber haben, wie sehr sie mir helfen. Und wie sehr ich sie brauche! Mit Dingen des täglichen Bedarfs sind wir die kommenden Wochen jedenfalls bestens versorgt. Allen voran mit dem täglichen Bedarf an Menschlichkeit!

Die Verrückten aus Deutschland

Ich kann nicht ausschließen, dass uns die freundliche Verkäuferin aufgrund unseres eingeschüchterten Verhaltens wahrscheinlich für verrückt hielt. Ich befürchte sogar, wir sind es inzwischen tatsächlich, zumindest sehr nah dran, wie uns auch die weiteren Erlebnisse noch bestätigen sollen.

Einen weiteren Einblick in vergangen geglaubte Zeiten bekommen wir auf dem wöchentlich stattfindenden Markt der kleinen Ortschaft, auf dem Vieh, Fisch, Obst, Gemüse sowie Artefakte, Werkzeug, Bekleidung, Kosmetik aus Eigenherstellung und diverse Flohmarktartikel feilgeboten werden. Nicht nur das umfangreiche und teils sonderbare Angebot verschlägt uns die Sprache; vielmehr ist es die Tatsache, dass der Markt zum einen weiterhin durchgeführt und zum anderen sehr gut besucht wird. Ein Gewimmel von munter plappernden und fröhlichen Menschenmassen, durch das wir uns ungläubig, aber zwangsläufig treiben lassen. Verführerische Essensgerüche, Gelächter und Gesang versetzen uns in einen fast tranceartigen Zustand, bei dem man nicht weiß, ob man ihm entkommen oder noch etwas in ihm verweilen will. Wir entscheiden uns zaghaft für Letzteres und lassen uns für das Erste auf Tomaten, Erdbeeren, Zucchini und einen Knoblauchzopf ein. Der Verkäufer des Zopfes merkt uns offensichtlich unseren ersten Trip dieser Art sofort an und verhilft uns für heute etwas schadenfroh lachend, jedoch wohlgemeint mit dem Versprechen „Nema korone!“, also „Kein Corona!“, den Heimweg anzutreten.

Von der Hölle zum Himmel?

Wenngleich wir den Besuch des Marktes nicht als Höllentrip, sondern durchaus eher als einladend empfunden haben, weitere solcher Trips peu à peu etwas auszuweiten, so fühlen wir uns doch ein wenig satanisch. Haben wir uns falsch verhalten? Uns oder jemand anderen vielleicht sogar gefährdet? Kurze Überlegungen wischen unsere Sorgen weg. Verwirrt und zugegebenermaßen auch ziemlich erschöpft lassen wir diese Eindrücke mit einem Mittags-Orahovac erst einmal sacken. Wie gut, dass schon bald einer der wichtigsten Feiertage des Dorfes ansteht, über dessen Bräuche ich für die Redaktion berichten werde.

Der Tag, an dem die Dorfbewohner dem Heiligen Antonius von Padua, ihrem Ortspatron, gedenken, beginnt gleich mit mehreren heiligen Messen, von denen ich eine am frühen Morgen besuche. Als Katholikin freue ich mich, das erste Mal in Kroatien eine heilige Messe zu besuchen sowie aber auch auf etwas persönliche Besinnung und geistlichen Beistand in dieser Zeit. Die Haustüre noch nicht ganz geschlossen, befinde ich mich auch schon unweigerlich im Geschehen dieses Tages. Die Menschen strömen in Scharen wahlweise zu den stattfindenden Messen, zum Markt, der für diesen besonderen Anlass gleich für zwei Tage aufgebaut und um weitere Stände bestückt und noch mehr als zuvor besucht ist, zum Nachbarn, um zum Namenstag zu gratulieren, der Liebsten eine frisch gepflückte Lilie zu überreichen oder für ein Brot zum Tante-Emma- bzw. Nette-Dame-Laden. Mir war wohl kurzzeitig entfallen, dass Kroatien ein hoch katholisches Land ist, das die verschiedenen Generationen auch über einen gemeinsamen, tiefen Glauben miteinander verbunden hält. Ein Aspekt, der mich zuversichtlich, zufrieden und dankbar stimmt. Dankbar, für einen längeren Zeitraum daran teilhaben zu dürfen.

Ich folge der Menschenschlange, die auf dem Weg zur Kirche Sv. Ante (des Hl. Antonius von Padua) ist und komme gleich auf dem Weg dorthin mit einer Familie ins Gespräch, die sich über die Teilnahme einer Fremden an diesem bedeutenden Fest samt der dazugehörigen Messe sehr glücklich zeigt. Die Kroaten machen es mir leicht, Vertrauen wiederzugewinnen. Ich fühle mich geborgen, hoffnungsvoll und immer noch nicht gesundheitlich bedroht. Auch die gut 300 Gottesdienstbesucher, die eng beieinanderstehend beherzt beten, singen und sich berühren, ängstigen mich nicht. Im Gegenteil. Es fühlt sich gut an. Richtig und gesund. Ich bin nicht allein!

Zurück zum (kroatischen) Alltag

Unser Aufenthalt ist prall gefüllt mit Recherchetouren, dem Sortieren von Fotos, jeder Menge Schreiben, unzähligen interessanten Gesprächen mit den unterschiedlichsten Menschen, natürlich auch der Kinderbespaßung, privaten und geschäftlichen Treffen sowie der Befriedigung des täglichen Bedarfs an Menschlichkeit. Längst sind wir angekommen in dieser neuen, alten Welt, was die Kroaten uns sehr schnell ermöglicht haben. Dennoch beobachte ich das Treiben weiterhin ausgiebig und auch erstaunt. Darüber, was hier alles möglich und in Deutschland undenkbar ist.

Ein Banktermin steht an. Einer von gefühlt Zehntausenden, aber das ist eine andere Geschichte. Weil ich das so gelernt habe, richte ich mich nach den ausgehängten Hinweisschildern, desinfiziere meine Hände und halte Abstand zu anderen Kunden und Mitarbeitern der heutigen Filiale. Eine Gesichtsbedeckung ist nicht vonnöten, sodass die ältere, sehr höfliche Bankangestellte und ich uns trotz Plexiglasscheibe ungehindert und verständlich miteinander unterhalten können. Im Zuge unserer Besprechung starte ich, eine Bank-App auf mein Smartphone zu laden, wozu die freundliche Dame gleich helfend um den Schalter zu mir herumkommt. Dicht an dicht greift sie ungefragt nach meinem Handy, um kurz zu überprüfen, ob ich mit der mir fremdsprachigen App zurechtkomme. Da ist er wieder, der Gedanke „Das wäre in Deutschland niemals möglich!“. Nicht mal zu damaligen, längst vergangenen Zeiten. Ich meine damit nicht etwa den Akt des Griffs nach meinem Mobiltelefon als vielmehr jenen der körperlichen Nähe. Im jetzigen Fall dazu noch von einer Vulnerablen.

Was soll ich sagen? Es fühlt sich – wieder mal – gut an. Warm und herzlich! Sie meint es offensichtlich einfach nur gut mit mir jungem Hüpfer und ist bemüht, dass alles reibungslos funktioniert. Wie könnte ich also die Frechheit besitzen, sie zu bevormunden oder gar eine Vulnerable zu nennen, denke ich bei mir. Ich habe es anders gelernt. Nämlich, die Älteren zu respektieren. Das tue ich. Und wir beide scheinen uns damit wohl, aber nicht gefährdet zu fühlen.

Tausende Einzelfälle

Obwohl inzwischen längst eingelebt, mache ich mir doch oft Gedanken darüber, warum das Leben hier normal weiterläuft, während auch ich mittlerweile die deutsche Lebensart im Vergleich nur noch als Endzeit-Katastrophenfilm betiteln kann. Vielleicht urteile ich aber auch zu schnell und das dalmatinische Hinterland bildet die große gesellschaftliche Ausnahme, von der ich mich habe blenden lassen. Vielleicht erlebe ich gerade aber auch einfach – ganz zufällig – unheimlich viele Einzelfälle und werde der großen kroatischen Endzeit-Tragödie noch begegnen. Gott bewahre! Aber vielleicht…

Ein nächster Event-Bericht steht an. Traditioneller Stierkampf in Radošić. Mit sehr gemischten Gefühlen brechen wir etwas verspätet zur längeren Fahrt dorthin auf. Was wird uns dort wohl erwarten? Infizierte Menschenmassen? Tierquälerei? Stierangriffe? Schlägereien? Unhygienischste Zustände? Wir wissen es schlicht nicht und lassen uns überraschen.

Das Halskratzen, von dem der Große kurz zuvor noch etwas gemurmelt hat, scheint wie verflogen, als wir auf dem riesigen Festplatz ankommen. Wahrscheinlich von der Klimaanlage, denke ich kurz… aber wow! Eine ganz schön üppige Veranstaltung für solche Zeiten. Es wirkt fast wie auf einem Festival. Für derzeitige Verhältnisse jedenfalls. Ein Event, das ein paar Tausend Besucher angelockt hat. Nochmals deutliche und klare Instruktion an die Kinder, unbedingt ständig an unserer Seite zu bleiben, Abstand zu anderen einzuhalten, nur aus Bechern zu trinken und was sie von uns bekommen, Hände regelmäßig zu waschen und einfach ein bisschen umsichtiger zu sein bei so vielen Menschen. Denn man weiß ja immer noch nie.

Schon beim Einlass schwinden unsere ersten Unsicherheiten deutlich. Es scheint insgesamt sehr gut organisiert zu sein. Die Rückverfolgbarkeit jedes einzelnen Besuchers wird sichergestellt, Händedesinfektion steht ausreichend bereit, fast das gesamte Personal trägt Maske, an den Verpflegungsständen jedoch alle Mitarbeiter. Die Getränke bekommen wir jeweils mit zwei ineinander gestapelten Bechern, die Toiletten werden laufend gereinigt und auch dort steht ausreichend Desinfektionsmittel zur Verfügung. Feuerwehr und medizinische Rettungskräfte sowie Polizei sind anwesend und auch unsere sonstigen Ängste scheinen unbegründet. Das Gelände ist zudem so groß, dass trotz der Menschenmengen jederzeit und überall viel Abstand eingehalten werden kann. Ich bin jedoch zum Arbeiten hier und stürze mich ins Getümmel, um Besucher, Wettkampf-Teilnehmer, Organisator, Touristen, Freunde, Angestellte und Tierpfleger zu befragen. Zwischendurch lassen wir uns als Familie ganz und gar auf die Besucherperspektive ein und beenden diesen aufregenden Tag am späten Abend mit der Heimfahrt und wahnsinnig vielen Eindrücken.

Trotz größerer Bedenken vorab haben wir uns zu keiner Zeit aus irgendwelchen Gründen auf dem Familienfest, als das man diese Veranstaltung bedenkenlos bezeichnen kann, unsicher gefühlt. Es war zudem richtig toll, anstelle von Inzidenzen mal lebensfrohe Menschenmassen zu zählen. Kroatien zeigt, dass es geht. Schön!

Und plötzlich sind wir krank

Bei so einem langen Aufenthalt und vergleichsweise vielen Kontakten bleibt es natürlich nicht aus, dass man sich auch mal etwas einfängt. So erwischt es plötzlich Kinder und Mann mit einer fetten Erkältung. Halsschmerzen, fließende Nase, Ohrenschmerzen, Fieber. Üblicher „Kinderrotz“ also in meinen Augen. Aber das sagt man aktuell lieber nicht so vorlaut und voreilig. Dazu der in diesem Sommer ständige Wetterwechsel in Kroatien. Kein Wunder, denke ich mir unaufgeregt. Was es ist, wissen wir nicht. Das wussten wir bislang noch nie bei einem Virus und interessieren uns auch von jetzt an nicht dafür. Bislang ist es nichts, was einen Arzt benötigen würde und vom vergangenen Fešta haben wir auch keinen Anruf wegen irgendeines Ausbruchs erhalten, noch erfahren wir von einem solchen nach überstandener Erkrankung. So kurieren sich die drei Männer einfach in aller Ruhe aus und bleiben selbstverständlich – schon aus Eigeninteresse – für die nächsten eineinhalb Wochen im Haus. Ich erledige Einkäufe und wir machen – fieberfrei – nur Spaziergänge auf einsamen Wegen, was in dieser Umgebung das kleinste Problem darstellt. Zudem erlauben wir es den Kindern natürlich nach wie vor, auf dem großzügigen Grundstück zu spielen.

Bei den während der Erkältung ersten Begegnungen mit den Hausherren weisen wir – wie wir es ebenfalls im früheren Leben schon gehandhabt haben – gleich deutlich auf die Erkrankung und somit mögliche Ansteckungsgefahr hin, bevor man uns zur Begrüßung berühren kann. Das Familienoberhaupt (also gerade der, den ich zu schützen beabsichtige, denn man weiß ja nie) schaut mich völlig entgeistert und mitleidig an, als wolle er mich fragen, was mein Problem ist. Der Kleine, sichtlich verrotzt und fiebrige, rote Bäckchen, tut ihm wohl besonders leid, sodass er ihm erstmal liebevoll und (un)bekümmert über Wange und Kopf tätschelt und mich – ebenfalls väterlich über die Wange streichelnd – fragt, ob wir irgendetwas brauchen.

Da stehe ich nun und fühle mich wie der letzte Depp. Ich habe wohl vergessen, dass ich mit einem der Stärksten der Gesellschaft rede und schäme mich fast für meine vehemente Warnung, uns besser nicht zu nahe zu kommen. Dennoch erstaunt, immer noch ungläubig, aber zeitgleich voll tiefster Dankbarkeit für soviel ehrliche Nächstenliebe, versichere ich ihm fast weinend, dass wir mit allem versorgt sind. Gebäck, Schnaps und Schokolade für die Kinder lassen natürlich trotzdem nicht lange auf sich warten. Ganz wie bei Rotkäppchen. Die guten alten Hausmittel. Das stärkste davon ist die Liebe!

„Kommunismus ist gutt!“

„Merkel is good!“, sagt „der Blaue“, bei dem wir nach unserer Flugannullierung noch für ein paar weitere Tage in einem anderen kroatischen Ort unterkommen, als wir abends mit ihm in seinem selbstgebauten Gartenhaus sitzen, wo die Nachrichten gerade im Fernsehen laufen. Unser Jüngster nennt ihn stets so, da er immer ein blaues T-Shirt trägt. Der Blaue hat handwerklich richtig was drauf. Sein Gartenhaus mit den darin befindlichen, ebenfalls selbst gezimmerten Möbeln ist ein richtig uriges Plätzchen, das sich der vulnerable Alt-Hippie mit viel Liebe zum Detail und wertvollen Schmuckstücken ganz im Retrostil eingerichtet hat. Nach den Nachrichten stellt der Blaue den Ton des Fernsehers aus, um aus seiner beeindruckenden Plattensammlung eines seiner Herzstücke aufzulegen. Kaum anders zu erwarten, schallt uns in einem hervorragenden Sound Janis Joplin um die Ohren, während wir gemeinsam das Bewegtbild des stummen Fernsehers schweigend, aber nicht unangenehm auf uns einprasseln lassen. Oft sitzen wir in diesen Tagen während der Unwetter so da. Zwischendurch ein paar Gespräche über Dies und Das, ein Wein, ein Bier, gemeinsames Schweigen, laute und gute Musik.

Nach seinem Outing als Fan unserer Bundeskanzlerin komme ich gar nicht dazu, ihm meine Sicht als Deutsche kundzutun. Ein Glück, wie sich noch herausstellt, begründet er seine Begeisterung für die deutsche Politikerin schließlich mit „Kommunismus ist gutt!“. Provokant grinsend, da er mich politisch offensichtlich woanders verortet, ohne dass ich überhaupt etwas gesagt habe. Bei seiner nächsten Aussage, dass auch Hitler gut war, beschließe ich kurzerhand, das weitere Gespräch lieber oberflächlich fortzuführen, da es mir seinerseits zu Gras- und Wein-geladen erscheint. Wobei ich ihm seine Meinung durchaus abnehme.

Der Blaue ist sichtlich vom Leben gezeichnet. Große Narben zieren unter anderem Stellen, die dafürsprechen, dass er dem Tod schon sehr nahe gewesen sein muss. Seine fast eingefrorene Mimik ist deprimiert, sodass man sein stets mühsam wirkendes Lächeln nur über den durchaus vorhandenen Glanz in seinen Augen als ehrlich einordnen kann. Er hat einige Familienmitglieder im Krieg verloren. Die Orte, an denen sie umgekommen sind, zeigt er uns eines Abends bei einer kleinen Runde zum gemeinsamen Biertrinken. Dazu verlor er vor einigen Jahren einen seiner Söhne, der an Krebs erkrankt war. Den Blauen kann nichts mehr schocken. Auch er gehört, weiß Gott, nicht zu den Schwächsten der Gesellschaft. So sprechen wir gleich am ersten Abend unseres dortigen Aufenthalts natürlich auch über die aktuelle Lage, wozu er nur unbeeindruckt meint, dass dies, wenn überhaupt, nur ein Problem für sein Alter, nicht aber für unseres wäre und zuckt gelassen mit den Schultern. Ein ehrliches Grinsen dazu. Ich mag den Blauen, auch, wenn wir unterschiedlicher nicht sein könnten!

Überlebensstrategien

Auch in Kroatien steht überall Händedesinfektion bereit, die von fast allen benutzt wird. Wer Maske tragen und Abstand halten will, kann dies ebenfalls überall unbehelligt tun. Aber Berührungsängste den Mitmenschen gegenüber oder diese gar als potenziell lebensbedrohlich zu empfinden und auch so zu behandeln, erleben Sie hier nicht. Selbst die Wenigen, die einen bevorzugt mit Corona-Kick begrüßen, sitzen nach diesem über Stunden hinweg mit uns im selben unbelüfteten Raum, bei angeregten Gesprächen Schulter an Schulter, nah einander gegenüber, lachend und entspannt, keine Spur von Angst und vor allem: mit völlig anderen Themen als dem einzigen, das es in Deutschland noch gibt. Klar. Hier ist Leben. Da hat man was zu erzählen.

Es gibt auch hier Empfehlungen zum sozialen Miteinander und zur Hygiene, zeitweise auch Einschränkungen in diesen Bereichen oder Vorgaben wie das Tragen von Masken in bestimmten Situationen. Auch findet der Schulbetrieb teilweise digital statt und dort, wo es möglich ist, schickt man die Leute ins Homeoffice, ebenso wie jeder Lebensbereich Pandemiekonzepte vorhält.

Das Leben aber, das lassen sich die Kroaten nicht nehmen. Wie sie ihre wertvolle Lebenszeit verbringen, entscheiden sie allein. Auf eigene Verantwortung und Gefahr. Das gesellschaftliche Überlebenskonzept hier besteht aus Schnaps, Knoblauch, Glaube und Menschlichkeit. Liebe!

Ich will nicht mehr zurück!

Die letzten Tage unseres Aufenthalts beim Blauen machen mich nachdenklich. Da ist das dauerhafte Unwetter, die teils trübe Stimmung aus den Erzählungen von ihm, die sich wie ein Schleier über uns legt, uns auf die Rückkehr vorzubereiten scheint. Ich merke, wie die German Angst sich in mir breit macht. Wie mich Panik ergreift. Ich will nicht mehr zurück! Ich weiß doch genau, was auf mich zukommt. Dass es ein monatelanger Lockdown sein wird, jedoch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Ebenso wenig, dass ich auch weiterhin meine Liebsten nicht sehen und wir isoliert sein werden. Von zwei Ländern, die unterschiedlicher nicht sein könnten und in denen sich nichts ändern wird.

Es ist bereits einen Sommer später. Der ewige Lockdown in Deutschland hat Spuren in mir hinterlassen. Spuren, mit denen ich mein Leben lang zu kämpfen haben werde, auch, weil sie bis zu meinen Kindern reichen. Und wieder sage ich: Ich will nicht mehr zurück! Nicht mehr nur für einen vorübergehenden Aufenthalt.

Ich will erst dann wieder zurück, wenn ich nie wieder zurück muss!

Gedenktag für die Corona-Verstorbenen

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lud gestern zu einer nationalen Trauerfeier für die Corona-Verstorbenen in unserem Land ein.

Ich habe mir an einigen darüber berichtenden Stellen in den sozialen Medien die Reaktionen und Kommentare der Leser dazu durchgesehen. Mal abgesehen von deplatzierten Wut- und Lach-Emojis lässt sich konstatieren, dass eine nicht unerhebliche Menge der Menschen eine ordentliche Wut auf die Politiker zu haben scheint; die Bemerkungen zur gestrigen Veranstaltung jedenfalls sprachen für sich.

Nun schwirren mir ebenfalls etliche Gedanken zu dem Gedenktag im Kopf umher. Ich hätte Fragen zum einsamen Sterben, zu ausgesetzten Behandlungen, verschobenen Operationen, zur Wirtschaft, zur Zukunft, zum Schutz und zur Gesundheit unserer Kinder, zum Wohlbefinden im Allgemeinen, zu unserem tatsächlichen Miteinander und zu so vielem mehr.

Aber ich möchte innehalten und ich sage Ihnen, warum: Unter den zahlreichen, mitunter sehr aufgebrachten Kommentaren unter den jeweiligen Berichten zur Gedenkfeier fand ich einen – unter der Flut fast versteckt wirkenden – Beitrag eines Angehörigen, aus dem ich Ihnen gerne zitieren möchte.

„Meine Schwester starb an den Folgen einer Covid Infektion im Dezember mit 49 Jahren. Auch wir konnten uns nicht mehr von ihr verabschieden.“

Nachvollziehbar ließe sich der Inhalt des Kommentars bis hier hin gleich mit einigen Argumenten gegen diese Gedenkveranstaltung diskutieren. Weiter ging es jedoch mit der wirklich bedeutsamen Aussage des Verfassers:

„Vielleicht kann uns diese Gedenkfeier ein kleines bisschen in unserer Trauerarbeit helfen.“

Und genau da liegt der Punkt. Der Punkt, an dem Innehalten angebracht und pietätlose Emojis und Wutausbrüche unangebracht sind. Wenn die gestrige Trauerfeier auch nur einem Menschen geholfen und Kraft und Trost gespendet hat, so ist sie doch berechtigt. Egal, was der Einzelne davon halten mag. Wenn uns in unserer jetzigen Gesellschaft das Miteinander, die Solidarität, das Verständnis und die Empathie der anderen fehlt, so rechtfertigt das keineswegs einen ebensolchen rücksichtslosen Umgang mit unseren Mitmenschen. Das gilt in alle Richtungen. Wir sollten endlich wieder über alles miteinander diskutieren können, das wäre sehr zu begrüßen und überfällig. Aber manchmal – ja, manchmal – ist ein dezentes Klappehalten wirklich angebracht. Vor allem, wenn es um verstorbene und trauernde Menschen geht! Da zündet man in der Tat vielleicht besser einfach eine Kerze an. Das hat auch eine beruhigende Wirkung.

(Bildnachweis: Pexels)

#ichmachdanichtmit

Ich mach da nicht mit!

Ich weigere mich!

Ich sage nein

  • zur Ausgrenzung von Menschen.
  • zur Schürung von (Ur)ängsten.
  • zu gesundheitsschädlichen Maßnahmen.
  • zur Traumatisierung von Kindern.
  • zum Rauben von Lebensfreude.
  • zur Zerstörung von Existenzen.
  • zu jeglichen Zwängen.
  • zu einem würdelosen Leben und Tod.

Ich sage ja

  • zu gegenseitigem Respekt und Rücksichtnahme in Eigenverantwortung.
  • zu Nähe, Miteinander und Menschlichkeit.

(Bildnachweis: Pexels)

Schmerzliche Wahrheiten

Manchmal im Leben muss man in sich gehen und auch mal über seine Schattenseiten nachdenken, Dinge reflektieren, die man eventuell falsch oder wenigstens besser gemacht haben könnte.

So weiß ich, dass ich ein schwieriger Mensch bin. Laut. Emotional. Impulsiv. Zynisch. Aggressiv und noch so manches mehr. Sympathisch, nicht? Aber es geht noch besser, oder in dem Fall schlechter als meine Selbstbeschreibung, die ich gerne liebevoll als temperamentvoll und leidenschaftlich abkürze. Andere Menschen haben mich mitunter schon als arrogant, herrschsüchtig, verrückt, irre, geisteskrank, angsteinflößend, nervig, verletzend, rassistisch und gar Schlimmeres bezeichnet.

Das mag meinen Charakter betreffend jetzt vielleicht etwas abschreckend wirken, aber es soll ja hier auch eine kritische Betrachtung dessen erfolgen; sowohl aus meiner Perspektive als auch aus fremder Sicht. Die fremde Sicht mag einen selbst natürlich manchmal erstaunen, wenn nicht auch mal schocken, vor allem, wenn nicht einmal Argumente mit derartigen Beschreibungen einhergehen. Aber gut, auch damit lernt es sich, umzugehen, je älter man wird. Jeder hegt ja auch seine eigenen Empfindungen und allen gefallen muss man im Leben erst recht nicht. Demnach also völlig in Ordnung, wenn mich jemand scheiße findet! Worauf ich hingegen gar nicht klar komme, ist, wenn man mich der Lüge bezichtigt. Ich kann es wirklich nicht leiden! Denn das ist überhaupt meine schlimmste Eigenschaft: Ehrlichkeit. Sowohl aus fremder Sicht als inzwischen auch immer mehr aus meiner eigenen.

Wie oft im Leben bin ich bei meinen Mitmenschen schon angeeckt, weil ich Dinge schonungslos an- und ausgesprochen habe. Ich kann es nicht mehr zählen. Was gab es meinetwegen schon Streits und Eklats, selbst innerhalb der Familie. Freundschaften, die an meiner dämlich vorlauten Klappe zerbrochen sind, Menschen, die sich ängstlich oder genervt zurückgezogen haben. Scheint also an den Fremdeinschätzungen doch ab und an was dran zu sein.

Ich kann meinen Mund nicht halten. Geheimnisse, die man mir anvertraut, sind bei mir gut bewahrt, aber meine ehrlichen Gedanken zu diesen oder auch anderen Themen? Kriegste. Sonst implodiere ich! Neben Familie und Freunden war mir meine Ehrlichkeit auch sonst im Leben nicht oft dienlich, im Gegenteil, durch Lügen wäre ich sicherlich manches Mal angenehmer aus einer Situation heraus- oder gar nicht erst hineingekommen. Meine Ehrlichkeit hat mir schon sehr oft nichts als Traurigkeit und Einsamkeit gebracht. Ja, manchmal denke ich mir wirklich, warum lüge ich nicht einfach oder halte am besten ganz meinen Mund?

Und so schmerzlich meine Ehrlichkeit oftmals sowohl für andere als auch für mich ist, so ist die Antwort ganz einfach: Weil ich mir selbst noch in den Spiegel schauen und mich mit den Menschen umgeben möchte, die mich genau so schätzen und lieben wie ich bin! Ich mag ein wirklich ätzender Mensch sein. Aber ein Mensch mit einem reinen Herz, der es niemals böse mit anderen meint. Und genau der Mensch möchte ich bleiben. Und wenn ich am Ende allein dastehe. Ich bin wie ich bin und glücklich über diejenigen, die mich samt meiner schlechtesten Eigenschaft aushalten.

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