Äußere Umstände führten heute dazu, dass ich mit meinen Kindern eine 3G-Einrichtung besuchte. Es ging spontan ins Kino.
Unabhängig meines G-Status habe ich sämtliche Veranstaltungen und Lokalitäten, in denen in meinen Augen unsinnige bis diskriminierende Maßnahmen vorherrschen, bislang seit Beginn der Krise gemieden. Nicht einmal in Restaurants bin ich gegangen, da ich mich extrem veräppelt fühle, mich dort mit Maske zum Tisch bewegen zu müssen, um dann an diesem etwa zwei Stunden zig Aerosole einatmend zu sitzen, als wäre nichts. Manche Dinge sind mir einfach zu blöd und ich brauche sie nicht um jeden Preis. Vor allem nicht, wenn ich mich verarscht fühle. Nun denn, den Sinn und Unsinn der Maßnahmen könnte man ewig diskutieren, dies also nur kurz zum Hintergrund meines persönlichen Umgangs mit allerlei Freizeitangeboten.
Eines davon, das Kino, nutzte ich heute also, um meinen Kindern eine Freude zu bereiten. Selbstlos und ohne weitere Hintergedanken. Die sollten sich mir erst später aufdrängen. Das Kino war meiner Meinung genauso schlecht besucht wie schon vor Corona, diesmal jedoch mit dem Unterschied, dass alle Anwesenden in irgendeiner Form einen Freiheitspass vorweisen konnten, ob erspritzt, erkrankt oder erkauft – unerheblich. Die Besucher schienen allesamt einfach ihren Kindern ein kleines Abenteuer ermöglichen zu wollen. Dass man trotz seines gesetzlich einwandfreien und zertifizierten Gesundheitszustandes dennoch nur mit Maske und Abstand zu Fremden zum Sitzplatz schreiten durfte, reihen wir der Einfachheit halber mal beim diversen Maßnahmen-Schwachsinn ein. Wie gesagt, ich mag es nicht wirklich, wenn man mich für dumm verkauft, aber gut – es ging um die Kinder. Und die hatten allesamt Freude bei einem lustigen Film! Und ja, es war auch nett, ihnen mal wieder etwas aus alten Zeiten ermöglichen zu können. Diese Tatsache war selbst für sie aufregender als der Film an sich.
Eigentlich, sollte man meinen, müsste ich als Mutter nun einfach erfreut über einen schönen Nachmittag mit meinen Kindern sein und die schönen Momente dieses Ausflugs liebevoll lächelnd Revue passieren lassen. Das tue ich. Und zeitgleich denke ich darüber nach, wie vielen Menschen das aktuell immer noch nicht möglich ist und das macht mich – abseits der eigenen Freude – rasend. Wütend. Ich frage mich ernsthaft, welche schlüssige Erklärung es dafür gibt, dass selbst bei der 3G-Option zahlreiche Menschen vom Leben ausgeschlossen werden. Mit welchem Recht? Mit welcher Begründung? Sicherheitsgründe sind es nicht, wenn man davon ausgeht, dass die meisten Besucher wahrscheinlich ungetestet und somit potenzielle Überträger waren. Von welchen Krankheiten auch immer. Was sonst als Erpressung zur Impfung soll dieses 2G- und 3G-Modell sein? Mal abgesehen davon, dass es nach meinem Geschmack nichts mit Freiheit zu tun hat, bald überall im Alltag seinen „Gesundheitsstatus“ vorweisen und dennoch überall Maske tragen zu müssen. Was für eine Farce! Gewiss keine Freiheit. Die habe ich persönlich dann doch eher beim Boykott dieses Kasperletheaters. Die Freiheit des Herzens und des Verstands.
Eine Flucht unterscheidet sich natürlich erheblich von einer Auswanderung, da sie in der Regel aus großer Not und Zeitdruck heraus erfolgt, während eine Auswanderung meist von langer Hand geplant, durchdacht und in beruflichen oder privaten Angelegenheiten begründet ist.
Auch wenn beide Handlungen somit eigentlich unmöglich miteinander vergleichbar sind, so ist es in meinem speziellen Fall durchaus eine Mischung aus beiden.
Nach Kroatien auswandern möchte ich am liebsten schon seit meinem ersten Aufenthalt dort. Lange Zeit nur Träumereien, habe ich mich dennoch über all die Jahre immer wieder ernsthaft damit beschäftigt. Vor allem, wenn ich gerade einmal wieder von dort nach Deutschland zurückgekommen bin. Von Beginn an begleitet hat mich neben verschiedenen Geschäftskonzepten jedoch immer der Traum einer schriftstellerischen Tätigkeit rund um Kroatien. Diesen habe ich inzwischen – meiner Seele folgend – verwirklicht. Dazu aber mehr an anderer Stelle über „Das liebe Geld“. Ein Leben in Kroatien ist also ohnehin bereits seit etlichen Jahren mein Wunsch und kein Hirngespinst aus einer naiven Urlaubslaune heraus. Wobei ich auch solche Unternehmungen nachvollziehen kann und auch bewundere! Warum denn auch nicht? Muss doch jeder selbst wissen, wie er sein kurzes Dasein auf diesem wunderschönen Planeten verbringt und gestaltet.
Womit ich auch schon beim nächsten Aspekt, der Flucht, bin. Unsere wunderschöne Erde ist nämlich ganz ordentlich aus den Fugen geraten, was eine Neuorientierung und -sortierung auch beim Einzelnen unabdingbar macht. Seinen Platz oder richtigen Weg in dieser Zeit zu finden, ist so individuell, dass sich darüber auch nicht streiten lässt. Verständlich dürfte dabei fast jede Ansicht sein. Was ich jedoch seit Anbeginn dieser vornehmlichen Gesundheitskrise nicht begreifen kann und mit jeder Faser meines Seins ablehne und sogar verachte, ist der Umgang mit unseren Kindern. Ohne es im Einzelnen aufzuzählen, ist der Schaden, den wir ihnen zugefügt haben, nie wieder gut zu machen. Eine bittere Gewissheit, die mich in Not und unter Zeitdruck setzt. Und daher möchte ich flüchten. Am liebsten vorgestern.
Also selbst, wenn mein jahrelanger Wunsch, das Land zu verlassen, nicht bestünde, würde ich gerade ebenfalls darüber nachdenken, wie ich meine Kinder hier schnellstmöglich rausbringen kann. Meine beruflichen und privaten Verbindungen nach Kroatien machen diesen Entschluss gedanklich sicherlich etwas einfacher, da ich Deutschland zwar als meine Wurzel, nicht aber als meine Heimat betrachte und fühle. Diese Gesellschaft hier ist nichts für mich. Auch vor 2020 schon nicht. Nichts desto trotz ist die Tatsache des Drucks, dem man hier insgesamt ausgesetzt ist, eine große – vermutlich aber nur innerliche – Hürde. Ich fühle mich derzeit sozusagen, als müsste ich die lang ersehnte Auswanderung nun schlagartig in eine Flucht umwandeln.
Ja, es mischt sich miteinander, wobei sich bei mir eher der impulsiv agierende Kroate als der bis ins Detail planende Deutsche durchsetzt. Ich will einfach heim. Dorthin, wo meine Kinder wieder lachen und leben können. Bald hat man ihnen zwei Jahre ihrer Kindheit gestohlen. Ich möchte vorgestern heim!
Samstag Morgen. Ok, fast Mittag, aber ich fühle mich wie kurz nach dem Aufwachen. Schlapp, müde, die Augen halb zugekniffen, die Knochen lahm. Eigentlich fühle ich mich derzeit ständig so. Im Grunde genommen würde ich also besser liegen bleiben und einfach schlafen. Kraft sammeln auf dalmatinische Art.
Nach diesem herbstlichen Sommer mit Dauerregen und Softshelljacken bin ich alles andere als gestärkt für den kommenden Herbst. Blass, überarbeitet und zusätzlich von tausend Baustellen belästigt, von denen eine natürlich drängender als die andere ist. Aber es hilft nichts, ich kann sie nicht wegzaubern. Frei nach Merkel sind sie jetzt nun mal da. Kurzum: Ich fühle mich wie die Corona-Vulnerablen. Ganz ohne diese verhöhnen zu wollen, das dürfen Sie mir glauben.
Mein Immunsystem ist meiner Meinung nach absolut nicht vorbereitet auf die kalte Jahreszeit und leider sehe ich derzeit auch keine Möglichkeit, es groß zu stärken. Orahovac is‘ auch alle und ziemt sich in Deutschland um diese Uhrzeit nicht. Spontanen Peka-Treffen stehen irgendwelche 2-3-was-weiß-ich-G’s, Ängste, steigende Zahlen und sonstige Unsicherheiten im Wege, sodass man sie lieber auf „die Zeit danach“ vertagt. Das Leben lässt sich schließlich wunderbar pausieren, wir haben ja genug davon. Was einem Autoren da bleibt, ist seine größte Stärke – die Gedanken. Nun, die hat natürlich jeder, jedoch besteht sie beim Autoren darin, sie pointiert zu Papier zu bringen und sie als Hilfestellung festzuhalten. Wenn nicht für die chaotische Jetzt-Welt, in der alle miteinander schreien und Selbstgespräche einem oftmals sinniger erscheinen als nutzlose Endlosdiskussionen, dann doch vielleicht für die Nachwelt.
Was aber will ein Autor eigentlich bezwecken? Ist er selbstverliebt und hört sich selbst am liebsten reden, respektive sieht sich selbst am liebsten schreiben? Ist er ein Theatraliker, der die Welt bloß unterhalten will? Ist es sein unbändiger Drang, ja seine regelrechte Sucht, seine vielen Gedankengänge sortieren und rauslassen zu müssen? Steckt vielleicht eine wohlgemeinte Absicht dahinter, seinen Mitmenschen seine Sicht der Dinge in Ruhe mitzuteilen, um zum Nachdenken anzuregen, Verständnis zu zeigen für alle Facetten, die das Leben zu bieten hat? Gut möglich, dass es eine Mischung aus allem ist.
Jedoch noch wichtiger als die eigene Gefühlswelt ist zum Schreiben die der anderen. Ist ja trotz theatralischem Selbstdarstellertum nicht so, dass der kleine spleenische Autor in seiner Schreibkammer, aber auch da draußen, nicht zahlreiche Gespräche mit seinen Mitmenschen führen und Stimmungen auffangen würde. Auch aus Kroatien. Nur verstehen die Kroaten einfach nicht, dass es uns Deutschen viel schlechter geht. Also grundsätzlich. Bitte lassen Sie uns das Leiden bis zur Selbstaufgabe, es ist alles, was wir haben. Nix Peka, nix Umarmungen, kein gar nix. Also bitte. Lassen Sie uns leiden. Und denken. Darüber, wie wir aus dem Tief wieder rauskommen. Wir brauchen da manchmal etwas. Aber Zeit ist ja da. En masse. Also samo polako.
Aus dieser gesamten Gedankenwelt, in der dem winzigen Autor ebenso wenig erspart bleibt wie den anderen, grübelt und philosophiert er über Themen von aktueller, aber auch zeitloser Relevanz. Aktuell scheint es so, dass niemand die Antwort weiß oder das Ende kennt. Und dennoch bleiben jedem von uns die Gedanken, die mehr Kraft haben, als sie jetzt vielleicht meinen. Halten Sie Augen und Ohren weiterhin offen, beobachten Sie genau und letztlich hören Sie auf Ihre tiefsten und ehrlichsten Gedanken, die Ihnen den richtigen Weg ans Ziel, zumindest aber durch diese Zeit zeigen. Hören Sie nicht auf, sich Ziele zu setzen. Seien Sie mutig. Was haben Sie noch zu verlieren? Nur sich selbst und das sollten Sie mit aller Kraft vermeiden!
In einer Reportage schrieb ich kürzlich, dass ich nicht mehr nach Kroatien zurück will. Ich hätte öffentlich den Mund gewiss nicht so voll genommen, wenn das nicht stimmen würde. Ja, es stimmt – ich will nicht mehr zurück. Nur noch unter einer einzigen Bedingung, die ich mit jeder Faser meines Körpers spüre. Und darauf fokussieren sich nun meine Gedanken. Auf mein persönliches Ziel in dieser aussichtslos wirkenden und beklemmenden Zeit. Die Gedanken sind frei und der Schlüssel zum Ziel. Ignorieren Sie sie nicht – folgen Sie Ihnen!
Inzwischen wissen die meisten von uns, was es bedeutet, in dieser seltsamen und herausfordernden Zeit zu verreisen. Zwar verwirren uns vielleicht die sich ständig ändernden Regeln ein wenig, dem Grunde nach ist uns jedoch wenigstens bewusst, dass es längst nicht mehr damit getan ist, mal eben in den Flieger zu steigen. Aber nicht nur das neue Regelwerk wird stets ergänzt, auch unser Gepäck ist um den ein oder anderen Schutzartikel oder etwaige Formulare reicher geworden.
Unwirklichkeit trifft Wirklichkeit.
Unwirklich. Das ist doch der Gedanke, der sich uns manches Mal unweigerlich aufdrängt. Fühlen wir uns doch wie in einem schlechten Film der Kategorie Endzeit-Katastrophe, wie manche es gerne zynisch nennen. Oder wir haben uns an das Prozedere inzwischen gewöhnt, es zumindest aber als unumgänglich hingenommen. Bis wir in Kroatien ankommen…
Alle Vorschriften des neuen sozialen Miteinanders bestens verinnerlicht, erstarre ich vor Unsicherheit fast ein bisschen, als mein Gegenüber mir zur Begrüßung freudestrahlend und ganz selbstverständlich seine Hand entgegenstreckt. Unser Gastgeber, ein typisch lässiger Dalmatiner in den 30ern, sportliche Shorts, weißes T-Shirt und lockige, dunkle Out-of-bed-Frise, weiß offensichtlich nichts über die neuen sozialen Gepflogenheiten in Deutschland. Kurzerhand beschließe ich, sie ihm an dieser Stelle noch nicht zu verraten, zu herzlich und wohltuend dieses stinknormale Händeschütteln. Auch der gemeinsame Gang durch unsere künftige Bleibe sowie das spätere Zusammensitzen in selbiger empfinde ich nicht als gesundheitsgefährdend. Eher hat das Nichtachten auf exakte Abstände zueinander, das Nichttragen von Schutzkleidung sowie der fehlende Dauerdurchzug aufgrund geöffneter Fenster eine auf Körper und Geist pflegende und beruhigende Wirkung auf mich. Wir essen frisch gepflückte Kirschen aus dem Gastgebergarten. Aus einer Schüssel mit unseren bloßen, nicht desinfizierten Händen. Ich fühle mich nicht bedroht, sondern gesegnet. Wir alle sind Menschen.
Die Schwächsten der Gesellschaft
Gleich am nächsten Morgen lernen wir die gesamte Gastgeberfamilie kennen. Da sind die hübsche, junge und aufgeschlossene Frau, die beiden kleinen, süßen Mädels und die Eltern des jungen Hausherrn. Also die eigentlichen Hausherren. Auf die es, wie wir gelernt haben, ganz besonders Rücksicht zu nehmen gilt. Sie brauchen unseren Schutz. Was aber, wenn sie den gar nicht wollen? So haben wir auch bei der Begrüßung mit dem Familienoberhaupt keine Chance, uns zurückzunehmen, so schnell werden gerade die Kleinsten, aber auch wir, sofort geherzt. Es wird in die Wangen gekniffen, über Köpfe gestreichelt, Witze vis-à-vis zugetuschelt, lauthals gelacht, in die Seite gekniffen, in den Arm genommen. Die Schwächsten der Gesellschaft scheinen hier die Stärksten zu sein. Die sich mehr um das Wohl der jüngeren Generationen als um ihr eigenes sorgen. So beruhigt man uns bei einem in Dalmatien üblichen Morgenschnaps auch sogleich mit den Worten „Trink das jeden Morgen und du bleibst gesund.“. Schaden kann es nicht, denken wir uns und trinken gemeinsam einen selbstgebrannten Orahovac auf die Gesundheit. Und das Leben.
Der tägliche Bedarf
Zwar sind wir in unserer neuen Unterkunft reichlich mit Obst, Gemüse, Schnaps, Wein und sogar jeder Menge selbst erlegtem und zubereitetem Getier sowie stets frischem Gebäck versorgt. Nichts desto trotz, benötigen wir ein paar Dinge für unseren täglichen Bedarf und machen uns zum örtlichen Shop auf. Eine Art Tante-Emma-Laden. Aufgrund der überschaubaren Größe treten wir vorsichtig ein, um uns einen Überblick über die dortigen Gegebenheiten neuer Einkaufsvorschriften zu machen. Alles ist so wie bei uns einst mal. Selbst in freie Gesichter blicken wir. Verunsichert ob der weltweiten Gesamtumstände halten wir dennoch unsere Kinder nachdrücklich dazu an, bitte nicht alles anzutatschen und rumzulaufen, sondern an unserer Seite zu bleiben. Abstände respektvoll einzuhalten erledigt sich innerhalb von Sekunden, da unsere Kinder – die Unterschiede offenkundig ebenfalls witternd – losrennen. Natürlich in unterschiedliche Richtungen, quer durch den Laden, rund um alle Regale. Bevor ich empört und wutschnaubend das Geschäft mit beiden Kindern unter dem Arm verlassen kann, rennt eine der Verkäuferinnen schon mit. Nicht etwa, um unsere unerzogene Brut einzufangen und zu ermahnen, nein. Sie macht mit. Ein junges Mädchen, um die 20, rennt freudestrahlend mit unseren Kindern in einem Supermarkt während dieser Epoche umher. Ich beneide sie. Für ihre Unbefangenheit, ihr warmes Herz und dass sie Spaß mit meinen Kindern hat. Einfach so. Nicht nach Regeln. Beim weiteren Zuschauen entspannt sich auch mein Mund zu einem liebevollen und herzhaften Lachen und mein Neid löst sich in Dankbarkeit auf. Dafür, dass mir die nette junge Dame zeigt, worauf es ankommt und dass unsere Kinder nicht ungezogen, sondern ebenfalls nach Freiheit und Leben am Lechzen sind.
Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass mir der Einkauf von Lebensmitteln, Hygieneartikeln oder auch einfach nur einem schnellen Eis oder eines gekühlten Getränks soviel geben kann. Die Menschen hier können keine Vorstellung darüber haben, wie sehr sie mir helfen. Und wie sehr ich sie brauche! Mit Dingen des täglichen Bedarfs sind wir die kommenden Wochen jedenfalls bestens versorgt. Allen voran mit dem täglichen Bedarf an Menschlichkeit!
Die Verrückten aus Deutschland
Ich kann nicht ausschließen, dass uns die freundliche Verkäuferin aufgrund unseres eingeschüchterten Verhaltens wahrscheinlich für verrückt hielt. Ich befürchte sogar, wir sind es inzwischen tatsächlich, zumindest sehr nah dran, wie uns auch die weiteren Erlebnisse noch bestätigen sollen.
Einen weiteren Einblick in vergangen geglaubte Zeiten bekommen wir auf dem wöchentlich stattfindenden Markt der kleinen Ortschaft, auf dem Vieh, Fisch, Obst, Gemüse sowie Artefakte, Werkzeug, Bekleidung, Kosmetik aus Eigenherstellung und diverse Flohmarktartikel feilgeboten werden. Nicht nur das umfangreiche und teils sonderbare Angebot verschlägt uns die Sprache; vielmehr ist es die Tatsache, dass der Markt zum einen weiterhin durchgeführt und zum anderen sehr gut besucht wird. Ein Gewimmel von munter plappernden und fröhlichen Menschenmassen, durch das wir uns ungläubig, aber zwangsläufig treiben lassen. Verführerische Essensgerüche, Gelächter und Gesang versetzen uns in einen fast tranceartigen Zustand, bei dem man nicht weiß, ob man ihm entkommen oder noch etwas in ihm verweilen will. Wir entscheiden uns zaghaft für Letzteres und lassen uns für das Erste auf Tomaten, Erdbeeren, Zucchini und einen Knoblauchzopf ein. Der Verkäufer des Zopfes merkt uns offensichtlich unseren ersten Trip dieser Art sofort an und verhilft uns für heute etwas schadenfroh lachend, jedoch wohlgemeint mit dem Versprechen „Nema korone!“, also „Kein Corona!“, den Heimweg anzutreten.
Von der Hölle zum Himmel?
Wenngleich wir den Besuch des Marktes nicht als Höllentrip, sondern durchaus eher als einladend empfunden haben, weitere solcher Trips peu à peu etwas auszuweiten, so fühlen wir uns doch ein wenig satanisch. Haben wir uns falsch verhalten? Uns oder jemand anderen vielleicht sogar gefährdet? Kurze Überlegungen wischen unsere Sorgen weg. Verwirrt und zugegebenermaßen auch ziemlich erschöpft lassen wir diese Eindrücke mit einem Mittags-Orahovac erst einmal sacken. Wie gut, dass schon bald einer der wichtigsten Feiertage des Dorfes ansteht, über dessen Bräuche ich für die Redaktion berichten werde.
Der Tag, an dem die Dorfbewohner dem Heiligen Antonius von Padua, ihrem Ortspatron, gedenken, beginnt gleich mit mehreren heiligen Messen, von denen ich eine am frühen Morgen besuche. Als Katholikin freue ich mich, das erste Mal in Kroatien eine heilige Messe zu besuchen sowie aber auch auf etwas persönliche Besinnung und geistlichen Beistand in dieser Zeit. Die Haustüre noch nicht ganz geschlossen, befinde ich mich auch schon unweigerlich im Geschehen dieses Tages. Die Menschen strömen in Scharen wahlweise zu den stattfindenden Messen, zum Markt, der für diesen besonderen Anlass gleich für zwei Tage aufgebaut und um weitere Stände bestückt und noch mehr als zuvor besucht ist, zum Nachbarn, um zum Namenstag zu gratulieren, der Liebsten eine frisch gepflückte Lilie zu überreichen oder für ein Brot zum Tante-Emma- bzw. Nette-Dame-Laden. Mir war wohl kurzzeitig entfallen, dass Kroatien ein hoch katholisches Land ist, das die verschiedenen Generationen auch über einen gemeinsamen, tiefen Glauben miteinander verbunden hält. Ein Aspekt, der mich zuversichtlich, zufrieden und dankbar stimmt. Dankbar, für einen längeren Zeitraum daran teilhaben zu dürfen.
Ich folge der Menschenschlange, die auf dem Weg zur Kirche Sv. Ante (des Hl. Antonius von Padua) ist und komme gleich auf dem Weg dorthin mit einer Familie ins Gespräch, die sich über die Teilnahme einer Fremden an diesem bedeutenden Fest samt der dazugehörigen Messe sehr glücklich zeigt. Die Kroaten machen es mir leicht, Vertrauen wiederzugewinnen. Ich fühle mich geborgen, hoffnungsvoll und immer noch nicht gesundheitlich bedroht. Auch die gut 300 Gottesdienstbesucher, die eng beieinanderstehend beherzt beten, singen und sich berühren, ängstigen mich nicht. Im Gegenteil. Es fühlt sich gut an. Richtig und gesund. Ich bin nicht allein!
Zurück zum (kroatischen) Alltag
Unser Aufenthalt ist prall gefüllt mit Recherchetouren, dem Sortieren von Fotos, jeder Menge Schreiben, unzähligen interessanten Gesprächen mit den unterschiedlichsten Menschen, natürlich auch der Kinderbespaßung, privaten und geschäftlichen Treffen sowie der Befriedigung des täglichen Bedarfs an Menschlichkeit. Längst sind wir angekommen in dieser neuen, alten Welt, was die Kroaten uns sehr schnell ermöglicht haben. Dennoch beobachte ich das Treiben weiterhin ausgiebig und auch erstaunt. Darüber, was hier alles möglich und in Deutschland undenkbar ist.
Ein Banktermin steht an. Einer von gefühlt Zehntausenden, aber das ist eine andere Geschichte. Weil ich das so gelernt habe, richte ich mich nach den ausgehängten Hinweisschildern, desinfiziere meine Hände und halte Abstand zu anderen Kunden und Mitarbeitern der heutigen Filiale. Eine Gesichtsbedeckung ist nicht vonnöten, sodass die ältere, sehr höfliche Bankangestellte und ich uns trotz Plexiglasscheibe ungehindert und verständlich miteinander unterhalten können. Im Zuge unserer Besprechung starte ich, eine Bank-App auf mein Smartphone zu laden, wozu die freundliche Dame gleich helfend um den Schalter zu mir herumkommt. Dicht an dicht greift sie ungefragt nach meinem Handy, um kurz zu überprüfen, ob ich mit der mir fremdsprachigen App zurechtkomme. Da ist er wieder, der Gedanke „Das wäre in Deutschland niemals möglich!“. Nicht mal zu damaligen, längst vergangenen Zeiten. Ich meine damit nicht etwa den Akt des Griffs nach meinem Mobiltelefon als vielmehr jenen der körperlichen Nähe. Im jetzigen Fall dazu noch von einer Vulnerablen.
Was soll ich sagen? Es fühlt sich – wieder mal – gut an. Warm und herzlich! Sie meint es offensichtlich einfach nur gut mit mir jungem Hüpfer und ist bemüht, dass alles reibungslos funktioniert. Wie könnte ich also die Frechheit besitzen, sie zu bevormunden oder gar eine Vulnerable zu nennen, denke ich bei mir. Ich habe es anders gelernt. Nämlich, die Älteren zu respektieren. Das tue ich. Und wir beide scheinen uns damit wohl, aber nicht gefährdet zu fühlen.
Tausende Einzelfälle
Obwohl inzwischen längst eingelebt, mache ich mir doch oft Gedanken darüber, warum das Leben hier normal weiterläuft, während auch ich mittlerweile die deutsche Lebensart im Vergleich nur noch als Endzeit-Katastrophenfilm betiteln kann. Vielleicht urteile ich aber auch zu schnell und das dalmatinische Hinterland bildet die große gesellschaftliche Ausnahme, von der ich mich habe blenden lassen. Vielleicht erlebe ich gerade aber auch einfach – ganz zufällig – unheimlich viele Einzelfälle und werde der großen kroatischen Endzeit-Tragödie noch begegnen. Gott bewahre! Aber vielleicht…
Ein nächster Event-Bericht steht an. Traditioneller Stierkampf in Radošić. Mit sehr gemischten Gefühlen brechen wir etwas verspätet zur längeren Fahrt dorthin auf. Was wird uns dort wohl erwarten? Infizierte Menschenmassen? Tierquälerei? Stierangriffe? Schlägereien? Unhygienischste Zustände? Wir wissen es schlicht nicht und lassen uns überraschen.
Das Halskratzen, von dem der Große kurz zuvor noch etwas gemurmelt hat, scheint wie verflogen, als wir auf dem riesigen Festplatz ankommen. Wahrscheinlich von der Klimaanlage, denke ich kurz… aber wow! Eine ganz schön üppige Veranstaltung für solche Zeiten. Es wirkt fast wie auf einem Festival. Für derzeitige Verhältnisse jedenfalls. Ein Event, das ein paar Tausend Besucher angelockt hat. Nochmals deutliche und klare Instruktion an die Kinder, unbedingt ständig an unserer Seite zu bleiben, Abstand zu anderen einzuhalten, nur aus Bechern zu trinken und was sie von uns bekommen, Hände regelmäßig zu waschen und einfach ein bisschen umsichtiger zu sein bei so vielen Menschen. Denn man weiß ja immer noch nie.
Schon beim Einlass schwinden unsere ersten Unsicherheiten deutlich. Es scheint insgesamt sehr gut organisiert zu sein. Die Rückverfolgbarkeit jedes einzelnen Besuchers wird sichergestellt, Händedesinfektion steht ausreichend bereit, fast das gesamte Personal trägt Maske, an den Verpflegungsständen jedoch alle Mitarbeiter. Die Getränke bekommen wir jeweils mit zwei ineinander gestapelten Bechern, die Toiletten werden laufend gereinigt und auch dort steht ausreichend Desinfektionsmittel zur Verfügung. Feuerwehr und medizinische Rettungskräfte sowie Polizei sind anwesend und auch unsere sonstigen Ängste scheinen unbegründet. Das Gelände ist zudem so groß, dass trotz der Menschenmengen jederzeit und überall viel Abstand eingehalten werden kann. Ich bin jedoch zum Arbeiten hier und stürze mich ins Getümmel, um Besucher, Wettkampf-Teilnehmer, Organisator, Touristen, Freunde, Angestellte und Tierpfleger zu befragen. Zwischendurch lassen wir uns als Familie ganz und gar auf die Besucherperspektive ein und beenden diesen aufregenden Tag am späten Abend mit der Heimfahrt und wahnsinnig vielen Eindrücken.
Trotz größerer Bedenken vorab haben wir uns zu keiner Zeit aus irgendwelchen Gründen auf dem Familienfest, als das man diese Veranstaltung bedenkenlos bezeichnen kann, unsicher gefühlt. Es war zudem richtig toll, anstelle von Inzidenzen mal lebensfrohe Menschenmassen zu zählen. Kroatien zeigt, dass es geht. Schön!
Und plötzlich sind wir krank
Bei so einem langen Aufenthalt und vergleichsweise vielen Kontakten bleibt es natürlich nicht aus, dass man sich auch mal etwas einfängt. So erwischt es plötzlich Kinder und Mann mit einer fetten Erkältung. Halsschmerzen, fließende Nase, Ohrenschmerzen, Fieber. Üblicher „Kinderrotz“ also in meinen Augen. Aber das sagt man aktuell lieber nicht so vorlaut und voreilig. Dazu der in diesem Sommer ständige Wetterwechsel in Kroatien. Kein Wunder, denke ich mir unaufgeregt. Was es ist, wissen wir nicht. Das wussten wir bislang noch nie bei einem Virus und interessieren uns auch von jetzt an nicht dafür. Bislang ist es nichts, was einen Arzt benötigen würde und vom vergangenen Fešta haben wir auch keinen Anruf wegen irgendeines Ausbruchs erhalten, noch erfahren wir von einem solchen nach überstandener Erkrankung. So kurieren sich die drei Männer einfach in aller Ruhe aus und bleiben selbstverständlich – schon aus Eigeninteresse – für die nächsten eineinhalb Wochen im Haus. Ich erledige Einkäufe und wir machen – fieberfrei – nur Spaziergänge auf einsamen Wegen, was in dieser Umgebung das kleinste Problem darstellt. Zudem erlauben wir es den Kindern natürlich nach wie vor, auf dem großzügigen Grundstück zu spielen.
Bei den während der Erkältung ersten Begegnungen mit den Hausherren weisen wir – wie wir es ebenfalls im früheren Leben schon gehandhabt haben – gleich deutlich auf die Erkrankung und somit mögliche Ansteckungsgefahr hin, bevor man uns zur Begrüßung berühren kann. Das Familienoberhaupt (also gerade der, den ich zu schützen beabsichtige, denn man weiß ja nie) schaut mich völlig entgeistert und mitleidig an, als wolle er mich fragen, was mein Problem ist. Der Kleine, sichtlich verrotzt und fiebrige, rote Bäckchen, tut ihm wohl besonders leid, sodass er ihm erstmal liebevoll und (un)bekümmert über Wange und Kopf tätschelt und mich – ebenfalls väterlich über die Wange streichelnd – fragt, ob wir irgendetwas brauchen.
Da stehe ich nun und fühle mich wie der letzte Depp. Ich habe wohl vergessen, dass ich mit einem der Stärksten der Gesellschaft rede und schäme mich fast für meine vehemente Warnung, uns besser nicht zu nahe zu kommen. Dennoch erstaunt, immer noch ungläubig, aber zeitgleich voll tiefster Dankbarkeit für soviel ehrliche Nächstenliebe, versichere ich ihm fast weinend, dass wir mit allem versorgt sind. Gebäck, Schnaps und Schokolade für die Kinder lassen natürlich trotzdem nicht lange auf sich warten. Ganz wie bei Rotkäppchen. Die guten alten Hausmittel. Das stärkste davon ist die Liebe!
„Kommunismus ist gutt!“
„Merkel is good!“, sagt „der Blaue“, bei dem wir nach unserer Flugannullierung noch für ein paar weitere Tage in einem anderen kroatischen Ort unterkommen, als wir abends mit ihm in seinem selbstgebauten Gartenhaus sitzen, wo die Nachrichten gerade im Fernsehen laufen. Unser Jüngster nennt ihn stets so, da er immer ein blaues T-Shirt trägt. Der Blaue hat handwerklich richtig was drauf. Sein Gartenhaus mit den darin befindlichen, ebenfalls selbst gezimmerten Möbeln ist ein richtig uriges Plätzchen, das sich der vulnerable Alt-Hippie mit viel Liebe zum Detail und wertvollen Schmuckstücken ganz im Retrostil eingerichtet hat. Nach den Nachrichten stellt der Blaue den Ton des Fernsehers aus, um aus seiner beeindruckenden Plattensammlung eines seiner Herzstücke aufzulegen. Kaum anders zu erwarten, schallt uns in einem hervorragenden Sound Janis Joplin um die Ohren, während wir gemeinsam das Bewegtbild des stummen Fernsehers schweigend, aber nicht unangenehm auf uns einprasseln lassen. Oft sitzen wir in diesen Tagen während der Unwetter so da. Zwischendurch ein paar Gespräche über Dies und Das, ein Wein, ein Bier, gemeinsames Schweigen, laute und gute Musik.
Nach seinem Outing als Fan unserer Bundeskanzlerin komme ich gar nicht dazu, ihm meine Sicht als Deutsche kundzutun. Ein Glück, wie sich noch herausstellt, begründet er seine Begeisterung für die deutsche Politikerin schließlich mit „Kommunismus ist gutt!“. Provokant grinsend, da er mich politisch offensichtlich woanders verortet, ohne dass ich überhaupt etwas gesagt habe. Bei seiner nächsten Aussage, dass auch Hitler gut war, beschließe ich kurzerhand, das weitere Gespräch lieber oberflächlich fortzuführen, da es mir seinerseits zu Gras- und Wein-geladen erscheint. Wobei ich ihm seine Meinung durchaus abnehme.
Der Blaue ist sichtlich vom Leben gezeichnet. Große Narben zieren unter anderem Stellen, die dafürsprechen, dass er dem Tod schon sehr nahe gewesen sein muss. Seine fast eingefrorene Mimik ist deprimiert, sodass man sein stets mühsam wirkendes Lächeln nur über den durchaus vorhandenen Glanz in seinen Augen als ehrlich einordnen kann. Er hat einige Familienmitglieder im Krieg verloren. Die Orte, an denen sie umgekommen sind, zeigt er uns eines Abends bei einer kleinen Runde zum gemeinsamen Biertrinken. Dazu verlor er vor einigen Jahren einen seiner Söhne, der an Krebs erkrankt war. Den Blauen kann nichts mehr schocken. Auch er gehört, weiß Gott, nicht zu den Schwächsten der Gesellschaft. So sprechen wir gleich am ersten Abend unseres dortigen Aufenthalts natürlich auch über die aktuelle Lage, wozu er nur unbeeindruckt meint, dass dies, wenn überhaupt, nur ein Problem für sein Alter, nicht aber für unseres wäre und zuckt gelassen mit den Schultern. Ein ehrliches Grinsen dazu. Ich mag den Blauen, auch, wenn wir unterschiedlicher nicht sein könnten!
Überlebensstrategien
Auch in Kroatien steht überall Händedesinfektion bereit, die von fast allen benutzt wird. Wer Maske tragen und Abstand halten will, kann dies ebenfalls überall unbehelligt tun. Aber Berührungsängste den Mitmenschen gegenüber oder diese gar als potenziell lebensbedrohlich zu empfinden und auch so zu behandeln, erleben Sie hier nicht. Selbst die Wenigen, die einen bevorzugt mit Corona-Kick begrüßen, sitzen nach diesem über Stunden hinweg mit uns im selben unbelüfteten Raum, bei angeregten Gesprächen Schulter an Schulter, nah einander gegenüber, lachend und entspannt, keine Spur von Angst und vor allem: mit völlig anderen Themen als dem einzigen, das es in Deutschland noch gibt. Klar. Hier ist Leben. Da hat man was zu erzählen.
Es gibt auch hier Empfehlungen zum sozialen Miteinander und zur Hygiene, zeitweise auch Einschränkungen in diesen Bereichen oder Vorgaben wie das Tragen von Masken in bestimmten Situationen. Auch findet der Schulbetrieb teilweise digital statt und dort, wo es möglich ist, schickt man die Leute ins Homeoffice, ebenso wie jeder Lebensbereich Pandemiekonzepte vorhält.
Das Leben aber, das lassen sich die Kroaten nicht nehmen. Wie sie ihre wertvolle Lebenszeit verbringen, entscheiden sie allein. Auf eigene Verantwortung und Gefahr. Das gesellschaftliche Überlebenskonzept hier besteht aus Schnaps, Knoblauch, Glaube und Menschlichkeit. Liebe!
Ich will nicht mehr zurück!
Die letzten Tage unseres Aufenthalts beim Blauen machen mich nachdenklich. Da ist das dauerhafte Unwetter, die teils trübe Stimmung aus den Erzählungen von ihm, die sich wie ein Schleier über uns legt, uns auf die Rückkehr vorzubereiten scheint. Ich merke, wie die German Angst sich in mir breit macht. Wie mich Panik ergreift. Ich will nicht mehr zurück! Ich weiß doch genau, was auf mich zukommt. Dass es ein monatelanger Lockdown sein wird, jedoch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Ebenso wenig, dass ich auch weiterhin meine Liebsten nicht sehen und wir isoliert sein werden. Von zwei Ländern, die unterschiedlicher nicht sein könnten und in denen sich nichts ändern wird.
Es ist bereits einen Sommer später. Der ewige Lockdown in Deutschland hat Spuren in mir hinterlassen. Spuren, mit denen ich mein Leben lang zu kämpfen haben werde, auch, weil sie bis zu meinen Kindern reichen. Und wieder sage ich: Ich will nicht mehr zurück! Nicht mehr nur für einen vorübergehenden Aufenthalt.
Ich will erst dann wieder zurück, wenn ich nie wieder zurück muss!
Nach über einem Jahr fällt den „Experten“ auf, was diese Pandemiepolitik mit den Kindern macht:
„Es gibt psychiatrische Erkrankungen in einem Ausmaß, wie wir es noch nie erlebt haben. Die Kinder- und Jugendpsychiatrien sind voll, dort findet eine Triage statt. Wer nicht suizidgefährdet ist und ’nur‘ eine Depression hat, wird gar nicht mehr aufgenommen.“, so der BVKJ-Sprecher Jakob Maske zur Rheinischen Post, wie heute in der Süddeutschen Zeitung zu lesen ist.
Da hätten sie lieber mal eine Mutter gefragt, die bereits ab dem ersten Tag der Maskenpflicht für Kinder einen reißenden und tiefen Stich vom Herzen bis in den Magen verspürte, als sie die zahlreichen verängstigten kleinen Kulleraugen über den Stofflappen auf dem Schulhof sah. Aber nein. Diese Mutter hat sich angestellt, alles übertrieben, Corona verharmlost und ihr Kind zu einem Maskenverweigerer erzogen. Nicht etwa zu einem selbstständig denkenden Menschen, der auf sein Bauchgefühl und überhaupt auf seinen eigenen Körper hört, der ihm vom ersten Tag an signalisierte, „ich fühle mich unwohl unter der Maske, ich bekomme keine Luft“. Aber gesund ist inzwischen bekanntlich das neue Krank. Was für eine erkrankte Welt.
All diejenigen, die zu Solidarität ermahnt und die Nöte der Kinder heruntergespielt haben, saßen nicht allabendlich am Kinderbett, um Tränen zu trocknen, Vorgänge zu erklären, Ängste zu nehmen. Sie waren nicht diejenigen, die jede Nacht ihr Kind zu sich ins Bett ließen, als es, wieder mal von Alpträumen geplagt, nicht schlafen konnte. Sie entschuldigten es nicht bei der Schule und nahmen die psychosomatischen Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen, generelles Unwohlsein und plötzliches Einnässen ernst, anstatt es unter Zwang in die Schule zu schicken, die auf einmal von der geschützten Lernumgebung zur kontrollierten Gefahrenzone mutierte.
Sie waren und sind nicht diejenigen, die, wenn sie sich schützend vor ihr Kind stellen, von Lehrkräften etwa zu hören bekommen: „Da müssen Sie dringend dran arbeiten, dass das Kind keine Angst mehr hat!“. Was für ein Wahnsinns-Ratschlag eines Geimpften mit Schutzausrüstung und Sicherheitsabstand wie in Outbreak! Das gelingt super, wenn man bedenkt, dass an jeder erdenklichen Ecke die vermeintliche Gefahr suggeriert und jede, aber wirklich jede Lebensfreude für die Kinder gestrichen wird und ihnen obendrein noch eingeredet wird, dass sie am Tod ihrer Familienmitglieder Schuld tragen könnten. Wenigstens war beim Ratgeber die Erkenntnis zur einzig richtigen Lösung vorhanden, dass wenn alle Kinder aus Angst einfach zuhause blieben, ja kein Kind mehr in der Schule wäre. Gleichwohl er seine eigene Erkenntnis leider nicht erkannte.
Nun sind wir Eltern also Schuld daran, dass man die unschuldigen Kinderseelen seit 14 Monaten rund um die Uhr von allen Seiten mit Dauerpanik zumüllt. Täter-Opfer-Umkehr. Großartig.
Aber die Eltern, die den kompletten Tag verängstigt mit ihren FFP2-Masken rumrennen, sie selbst ihren eigenen Kindern aufzwingen und sie beim Spielen mit anderen Kindern an Abstand erinnern, machen natürlich keinen übertriebenen Akt aus allem. Verstehe. Es gilt ja, die Risikogruppen zu schützen, zu denen plötzlich eigentlich jeder, den man kennt, gehört. Alle haben sie irgendwas. Und die Kinder, die haben sich bitteschön gefälligst danach zu richten. Die haben nämlich nix. Im wahrsten Sinne des Wortes NICHTS mehr. Und landen sie in der Psychiatrie, können wir natürlich sicher sein, dass daran die übertreibenden Eltern Schuld sind. Nicht etwa die ach so wichtigen Bildungseinrichtungen mit ihren strikten Hygiene- und Testregeln, die den Kindern ja ein Stück deren ersehnter Normalität zurückgeben. Was sind da schon Kindergeburtstage, kirchliche Feste, ein Kirmes- oder Zoobesuch, Freizeitsport oder sonst etwas Lebensfreude wert? Bei weiter sinkenden Zahlen dürfen die Kinder sich bald eventuell wieder (vorübergehend) darauf freuen. Das tun sie gewiss. Unter Wahrung von Abständen, unter Masken und dauergetestet. Ja. Genau darauf freuen sich die Kinder! Und für die absolute Freiheit braucht es dann lediglich paar Piekser. Nicht etwa für die Gesundheit.
Irgendwas läuft hier gewaltig schief und verdreht. Nicht die Eltern, die sich um ihre Kinder sorgen, sind Schuld an der Angst der Kinder. Es sind diejenigen, die am lautesten nach Solidarität schreien und ihre eigene Angst nicht mehr im Griff haben. So bitter das ist, es kann und darf nicht Aufgabe der Jüngsten sein, dafür geradezustehen, es sogar mit dem eigenen Leben zu bezahlen. Ein Umdenken ist nicht nur dringend geboten, sondern seit Monaten überfällig. Aber eine Bundesnotbremse wird es hier gewiss nicht geben. Die Notbremse sind die Eltern, Großeltern, Erzieher und Lehrer, die sich allesamt schützend vor die Jüngsten stellen und dazu eigene Ängste, ob vor Krankheit oder drohenden Konsequenzen, abschütteln müssen.
Es geht um das Leben unserer Kinder! Welche Angst könnte größer und schlimmer sein?