Es war das Jahr 2021, als eine verheerende Pandemie die Welt noch immer in Atem hielt. Menschen konnten teilweise nicht medizinisch versorgt werden, Kinder verhungerten oder wurden depressiv, viele Leute bangten um ihre Existenz und es erkrankten und starben auch welche an dem grassierenden Virus.
Zum Glück aber gab es zahlreiche Regeln, die die Menschen wenigstens vor dem Virustod bewahren sollten, etwa zuhause zu bleiben, keine Kontakte zu pflegen, keinen Sport zu treiben und überall Maske zu tragen. Zum Glück rottete man damit sogar die Grippe fast aus. Und Dank der Wissenschaft sollte es bereits nach wenigen Monaten einen Impfstoff geben, der vor schwerer Krankheit und Tod schützen sollte. Obwohl der Impfstoff in vielen Ländern in ausreichender Menge für alle Menschen zur Verfügung stand, machten leider nicht alle davon Gebrauch, sodass es sie besonders zu schützen galt. In einer Solidargemeinschaft war dies so üblich. Zum Glück.
Damit auch diese uneinsichtigen Menschen nicht sterben mussten und die bereits Geschützten nicht gefährden konnten, überlegte man sich neue Regeln eines solidarischen Zusammenlebens. Es war wahlweise möglich, bestimmte Bereiche und Veranstaltungen zum Schutz entweder nur noch geimpften Menschen zugänglich zu machen oder den ungeimpften Menschen gegen kleines Geld eine Testung auf das Virus anzubieten. Zudem ermöglichte man ihnen allerorts eine kostenlose Impfung, damit auch sie nach monatelanger Einhaltung aller Regeln sowie Verzicht und Rücksichtnahme endlich ihren Beitrag zur Pandemiebekämpfung leisten konnten. Die Impfung war der einzige Ausweg.
In dieser herausfordernden Zeit gerieten die Menschen zunehmend aneinander. Obwohl jedem eine kostenfreie Impfung unkompliziert zur Verfügung stand, behaupteten diejenigen, die sie dennoch verweigerten, vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu werden. Der Student Martin sah das irgendwie auch so, war gleichzeitig aber auch wütend auf diejenigen, die nicht zu einer höheren Impfquote verhalfen, um endlich wieder wie vor der Pandemie leben zu können.
Als Martin eines Tages mit seinem E-Roller auf dem Weg ins Impfzentrum war, begegnete ihm unterwegs Kevin, der ihn um etwas Kleingeld bat. Da Martin schon immer ein Herz für seine Mitmenschen hatte, zögerte er nicht lange und lud Kevin zum Essen in ein nahegelegenes Restaurant ein. Kevin hätte das großzügige Angebot gerne angenommen, konnte jedoch für den Restaurantbesuch keinen erforderlichen Nachweis erbringen. Er war ungeimpft. Einen Test konnte er sich nicht leisten, da er seine Arbeit verloren hatte. Der solidarische Martin spendierte ihm eine Testung im ebenfalls um die Ecke liegenden Testzentrum und nutzte die Gelegenheit beim gemeinsamen Essen, Kevin von einer Impfung zu überzeugen. Auch wenn Kevin von Martins medizinischen Argumenten für die Impfung für sich persönlich wenig überzeugt war, entschloss er sich letztlich doch dazu. Er wollte wieder frei sein.
Kurze Zeit nach dieser Begegnung der zwei Männer, erkrankte Martin schwer an dem Virus. Aufgrund des gemeinsamen Essens mit Kevin hatte er seine Impfung versäumt, von der er sich Schutz erhoffte. Kevin verstarb kurz nach seiner Erstimpfung, zu der Martin ihm geraten hatte und von der er sich Freiheit erhoffte.
St. Martin hatte seinerzeit dem Bettler das gegeben, was er sichtlich am dringendsten benötigte. Im Jahre 2021 verpuffte bedingungslose Nächstenliebe in einer Schlacht um die einzig wahre Wahrheit. Ein Kampf, der aussichtslos war, bestand die Realität doch aus unterschiedlichen Sorgen und Bedürfnissen. Vielleicht würde es eines Tages auch der Letzte verstehen. Bis dahin aber musste das Trümmerfeld vermutlich erst noch explodieren.
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