Zweifellos wurde Greta Thunberg in kurzer Zeit zu einem echten Star. Es ist auch ziemlich offensichtlich, dass sie am heutigen globalen Medienhimmel ein Star der anderen Art ist. Natürlich werden sich Zyniker sofort darüber beschweren, dass jeder Stern an diesem Himmel zunächst besonders hell und einzigartig scheint, bis sein Glanz allmählich erlischt und er entweder in Vergessenheit gerät oder bestenfalls zu einer oberflächlichen Erinnerung für zukünftige Generationen wird. Aber der Einfluss, den Greta bereits ausgeübt hat, bestreitet diesen Einwand nicht nur durch seine Quantität, sondern auch durch seine Qualität.
Jedem, der bereit ist, dieses „Phänomen“ genauer zu betrachten, wird klar, dass die dunkle, störende Brillanz dieses Sterns keineswegs den Veränderungen des Sensationsgeistes unterworfen ist, sondern dass sie weitaus ernster als eine reine Show ist. Dies zeigen die Reaktionen, die sie hervorruft, am deutlichsten.
Zum Beispiel haben zwei Mitglieder der französischen Nationalversammlung ihr Erscheinen in ihrer angesehenen Institution und die Entscheidung, sie in die Institution einzuladen, nicht“kritisiert“, sondern riefen zu ihrem Boykott auf. Der Journalist der New York Times, Christopher Caldwell, „kritisierte“ nicht nur ihren Radikalismus, sondern beschuldigte sie verblümt, in einer dieser Zeitung eigenen Art und Weise, die Demokratie zu untergraben. Ganz zu schweigen von den weniger reibungslosen Reaktionen, die sie in Online-Foren und sozialen Netzwerken hervorruft. In all diesen Reaktionen manifestiert sich vor allem Angst, mit einem spürbaren Anzeichen von Panik. Greta Thunberg hatte bereits fast den Status eines Assange oder eines Snowden (oder vielleicht einer Ayaan Hirsi Ali in der Zeit unmittelbar nach der Veröffentlichung von „Infidel“, bevor die Autorin zum Liebling des US-amerikanischen Establishments wurde – und verlosch).
Es stellt sich die Frage, woher diese Andersartigkeit kommt. Zunächst wird die einfachste Antwort auferlegt, die natürlich widerum auch die Zynische ist. Ihr zufolge verdankt die junge Aufrührerin ihren ganzen Erfolg ihrem Alter und der Tatsache, dass die Beteiligung von Kindern im politischen Bereich, anders als zum Beispiel in den Künsten und Wissenschaften, zumindest im modernen Westen beispiellos ist. Geisteskrankheiten und ein „sensationeller“ Lebensstil müssen dem noch hinzugefügt werden. Bevor sie aus Mangel an Beweisen ihre Diffamierung aufgeben mussten, beschuldigten sie die Zyniker noch, sie sei durch fanatische grüne Bewegungen manipuliert worden. Aber wie es normalerweise bei ihren Erklärungen der Fall ist, die zwar scharf, aber nie tiefgründig erscheinen, erklärt auch diese Auslegung nicht wirklich etwas. Sie deckt nur die bereits oben erwähnte Angst auf.
Derjenige, der meiner Meinung nach der richtigen Antwort am nächsten kam, ist der Philosoph Bruno Latour, der Greta in einem rezentem Interview mit Le Monde als „apokalyptische Figur“ beschrieb. Völlig jenseits „der Hollywood-Spezialeffekte“ wies der Philosoph auf die wahre, biblische Bedeutung des Wortes Apokalypse hin und bezeichnete sie als eine positive und sogar „begeisternde“ („enthousiasmant“) Tatsache. Hier möchte ich auf seiner Beschreibung aufbauen und sie ergänzen; über die schäbigen „Effekte“ hinaus, und mich auch auf den ursprünglichen biblischen Sinn stützen und die betreffende Person als „prophetische Figur“ bezeichnen.
Im Alten Testament wird für einen Propheten oftmals das Wort Mahnzeichen/Wahrzeichen (heb. mofet, lat. portentum) gebraucht. In diesem Sinn beinhaltet dieses Wort die Bedeutungen: Omen, Wunder, Zeugnis oder Beispiel in sich. Dies ist am deutlichsten im Buch des Propheten Hesekiel, wo der Herr den Propheten wiederholt auffordert, ein solches Zeichen für das Volk Israel zu sein: Er soll eine zukünftige Belagerung Jerusalems mit einem Lehmziegel und einer Eisenplatte simulieren (4: 1-4), er soll durch Fasten und dem Backen von Brot auf Kot die Belagerung ankündigen, die das Volk erwartet (4: 9–16). Er soll seine Sachen packen, als würde er verschleppt werden und in die Nacht gehen und damit auf das Exil hinweisen (12: 1–17), er soll einen Kessel auf das Feuer stellen und Wasser eingiessen, gutes Fleisch und die besten Knochen hinzugeben, um die bevorstehenden Schrecken zu prophezeien (24: 1–14). Er präfiguriert in den Vorboten das, was passieren wird, wenn sich etwas nicht radikal ändert und provoziert damit Empörung und Widerspruch bei seinen Landsleuten, vor die er einen unerträglich klaren Spiegel legt, in den man nicht hineinschauen kann. Für den biblischen Propheten ist das „Lesen der Zukunft“ nicht charakteristisch. Er ist durch seine bloße Existenz, sein“Erscheinungsbild“, ein Mahnzeichen und ein Wahrzeichen, ein Omen und ein Zeugnis sowie eine einsame Stimme in der Wüste und der Stachel des kollektiven Gewissens und somit der „Stein des Anstosses“.
Die Tatsache, dass der prophetische Geist zu unserer Zeit die beeindruckendste Verkörperung in einem dusseligen Mädchen aus Schweden hatte, das alle Annehmlichkeiten, die das Land, das einen hohen Lebensstandard symbolisiert, wegen einer Idee aufgab, die nicht einmal eine religiöse ist, kann eine bloße Ironie des Schicksals sein oder Vorsehung.
Wie dem auch sei; im Lichte dieser Tatsache wird anhand der Reaktionen, die es hervorruft, deutlich, welchen Einfluss es ausübt. Zum Beispiel, dass ihre Weigerung, mit dem Flugzeug zu reisen, ihr strenger Veganismus oder die Entscheidung, nur das „Nötigste“ („shop-stop“) zu kaufen, möglicherweise keine jugendliche Affektiertheit ist, sondern ein Warnzeichen: Wenn ihr so weitermacht, liebe Erdenbewohner, werden wir, bis auf eine Handvoll Reicher und Mächtiger, bald gezwungen sein, mit einem Minimum umzugehen, die Vorteile von Benzin aufzugeben, zu essen, was es gibt, durch Kiemen zu atmen und ein asketisches Leben zu führen. Ihr sagt immer noch: „Ruht euch aus, esst und trinkt und freut euch“, aber „noch in dieser Nacht wird man euer Leben von euch zurückfordern.“ (Lukas 12:19-20).
Die Zukunft klopft an die Tür und es ist eine Zukunft ohne Zukunft. Es ist überhaupt nicht angenehm zu hören, für niemanden. Deshalb weckt sie in all denjenigen, die nicht mit Angst und Irritation zurückbleiben, ein Gefühl des Unbehagens und der Schande. Aber in diesem Licht zeigt sich auch, dass diejenigen, die um das Leben dieses Mädchens bangen, möglicherweise nicht einfach „paranoid“ sind. Es ist bekannt, wie Propheten enden. Bekannt ist, dass „ein Prophet niemals in seiner Heimat anerkannt wurde“ – und vielleicht besonders dann, wenn diese Heimat der Planet Erde selbst ist, auf dessen existenzielle Gefährdung niemand dunkler und zugleich greller hinweist als dieses unangenehme Sternchen.
Autor: Marko-Marija Gregorić (Ersterscheinung in kroatischer Sprache auf dem Portal arteist.hr am 15. September 2019)
Übersetzung: Natali Tabak Gregorić
Lektur: Dana Jungbluth
(Bildnachweis: reuters/ aus einem Artikel der taz vom 7.6.19)
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