Na, heute schon über Politik diskutiert? Noch nicht? Dann hatten Sie bis jetzt vermutlich einen angenehmen Tag, führt in diesen Zeiten doch gefühlt jedes politische Gespräch innerhalb weniger Augenblicke zur absoluten Eskalation. Ich kann Sie insofern beruhigen, als dass dies nicht nur bei uns Deutschen der Fall zu sein scheint, auch andere Landsleute können bei dieser Art Debattenkultur sehr gut mithalten. So beispielsweise die Kroaten.
Ich frage mich derzeit häufig, wo es schlimmer ist: Unter den Kroaten oder den Deutschen? Kaum eine Diskussion, die ohne Worte wie „Nazi“, „Kommunist“, „Leugner“, „Schwachsinn“ oder sonstige hohle Phrasen auszukommen scheint. Richtig abstrus jedoch wird es, glauben einige Deutsche gar, den Kroaten ernsthaft deren eigene Geschichte nebst daraus abzuleitendem geziemenden Verhalten erklären zu müssen. Welch‘ dreiste Anmaßung! Aber so sind wir, wir Deutschen. Immer mit einem Ratschlag zur Stelle, wenn keiner danach fragt. Denn natürlich sind wir auch über alles bestens informiert, belesen wir uns schließlich auch aus der einzig wahren und richtigen Quelle. Was sind da schon unterschiedliche, mitunter internationale Medien oder gar persönliche Erfahrungsberichte aller Seiten wert, aus denen heraus man sich sein eigenes Bild machen könnte, wenn wir doch Wikipedia und die Tagesschau haben? Fachwissen nennt sich das. Jawohl, das bringen wir mit. Nicht etwa diejenigen, die Menschen im Krieg verloren haben, flüchten oder vielleicht sogar kämpfen mussten. Und sowieso, haben wir ja schließlich aus unserer Geschichte gelernt, wie wir nur allzu gerne bei jedem politischen Gespräch betonen. Wir haben quasi die Ausbildung, nein ein Studium in „Lernen aus der Geschichte“ und sind aufgrund dieser Qualifikation dazu befähigt, gar berufen, oder besser verpflichtet, auch andere Länder darüber zu belehren. Wir leisteten anscheinend mit Geburt einen Eid, die Welt, und somit natürlich auch Kroatien, zu retten. Wir, die Götter in bunt und blöd. Ich sage es nochmals: Welch‘ dreiste Anmaßung! Oder eben einfach nur der hilflose, infantile und nicht zuletzt perfide Versuch, einen womöglich fruchtbaren Austausch von Beginn an im Keim zu ersticken, um seine kleine Ideologie wie ein trotziges Kleinkind durchzusetzen. In der Tat, wir haben aus unserer Geschichte gelernt. Nämlich, wie wir in Perfektion binnen kürzester Zeit in totalitäre Systeme stürzen. Und dazu braucht es in erster Linie gut manipulierte, einseitig informierte Meinungspolizisten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, darüber zu entscheiden, welche Meinung die einzig richtige ist. Wir haben ja aus unserer Geschichte gelernt. Und somit quasi auch aus allen möglichen anderen Geschichten dieser Welt, z.B. der kroatischen. Nur nett, wenn wir also die Kroaten darüber aufklären, wie sie gefälligst über ihre eigene Geschichte zu denken haben. Wir wissen das schließlich am besten, was passieren kann, denken wir nur das Falsche. Gerne helfen wir da auf die Sprünge. Bitteschön. So sind wir Deutsche.
Ist ja auch angenehmer, wenn alle dasselbe denken und man sich nicht mit unliebsamen Meinungen auseinandersetzen muss. Nicht demokratisch, aber einfach. Wir geben vor, was Sie denken müssen. Machen Sie sich also keine Gedanken. Das machen wir für Sie.
Die Kroaten sind stolz auf ihre Geschichte, besinnen sie sich neben schrecklichen Geschehnissen nämlich auch auf positive Dinge, die daraus resultierten, wie etwa Befreiung, Unabhängigkeit und Miteinander. In Deutschland hingegen lernen wir im Prinzip von Geburt an, wofür wir uns zu schämen haben, dass die Nationalfarben (bitte entschuldigen Sie dieses Unwort) höchstens zu Sportevents vertretbar sind und was politische Korrektheit, auch Haltung genannt, ist. Den Tag der Deutschen Einheit interessiert hier im Grunde genommen niemanden, außer vielleicht für die Planung von Kurztrips. Ich wüsste ohnehin keinen einzigen Feiertag, den wir in Deutschland mit Stolz und Freude auf unser Land zelebrieren. Gibt es da einen? Richtig komisch beäugt wird man, hisst man Schwarz-Rot-Gold. Also außerhalb von Sportevents. Selbst dann ist eher Zurückhaltung angeraten. Auch auf die Ausdrucksweise ist stets zu achten. Ein „Guten Morgen“ kann da schon mal leicht zum Verhängnis werden, wurde dieser Ausruf nämlich ebenfalls zwischen 33 und 45 täglich verwendet. Unsere lieben Deutsch-Kroaten hingegen kennen da nichts und sprechen ganz ungeniert Dinge aus, die sich der gemeine Biodeutsche maximal unter vorgehaltener Hand zu sagen traut. Ist es nicht das, was die Kroaten mitunter so sympathisch macht? Dass sie ihre ehrlichen Gedanken frei heraus sprechen? Mag sein, dass wir Deutsche sie dafür sogar ein wenig beneiden, kann das Wahren der gesellschaftlichen Etikette doch sehr anstrengend sein. Wozu aber das Ganze? Um anderen zu gefallen? Des lieben Friedens wegen? Weil wir aus der Geschichte gelernt haben? Um miteinander weiterzukommen, braucht es Ehrlichkeit, einen offenen Dialog, und ja, auch mal einen blöden Witz, um das in diesen Zeiten kaum mehr auszuhaltene gesellschaftliche Klima wieder ein bisschen aufzulockern. Miteinander lachen täte uns allen doch unheimlich gut.
Die Kroaten scheinen im Gegensatz zu uns Deutschen nicht so verbissen und tragen das Herz auf der Zunge. Lediglich, wenn es um deren Geschichte geht, ist Vorsicht geboten. Zu Recht, wie ich finde. Viele Kroaten haben immerhin ihre eigene Geschichte selbst miterlebt, sie mit geschrieben. Wir hingegen behaupten ernsthaft, aus der Geschichte, womit in aller Regel die des Dritten Reichs gemeint ist, gelernt zu haben, obwohl die meisten von uns diese nicht einmal selbst erlebt haben. Zum Glück, sei gesagt. Von den Kroaten jedenfalls können wir lernen, dass man auch trotz grausiger Vergangenheit stolz auf sein Land sein, es feiern darf, ohne sich ständig einer Schuld bewusst zu sein, mit der man nicht einmal das geringste zu tun hatte. Wer hat nun mehr aus der Geschichte gelernt und wer bedarf dringend einer Aufarbeitung, frage ich Sie?
Ja, das Vermeiden politischer Diskussionen schont die Nerven, dennoch besser, diese zu führen, wenn es Sie innerlich pressiert. Noch herrscht laut Gesetz sowohl in Deutschland als auch in Kroatien das Recht auf freie Meinungsäußerung. Machen Sie also, wann immer es geht, davon Gebrauch, wenn Sie wirklich was aus der Geschichte gelernt haben und keine Wiederholung dunkelster Zeiten wünschen. Eine offene Debatte führt weiter, eine unterdrückte in Totalitarismus. Also reden Sie. Miteinander, nicht übereinander. Jedoch über alles. Ohne Beleidigungen, stattdessen mal mit Humor und stets vor der eigenen Türe kehrend. Mein ungebetener Ratschlag an Sie. Bitteschön.
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